Von Miggi
Ich muss an dieser Stelle direkt einmal mit der Ehrlichkeits-Tür ins Haus fallen: ich habe das originale System Shock aus 1994 nie gespielt. Entweder war ich zu jung oder zu dumm. Oder beides. Vermutlich beides. Das hier wird also weniger eine "Wie gut fühlt es sich im Vergleich zum Original?"-Review, sondern vielmehr ein Blick darauf, wie gut das Remake im Vergleich zu modernen Spielen abschneidet und wie man sich als Neueinsteiger darin zurecht findet oder eben auch nicht zurecht findet. Da ihr da draußen aber vielleicht auch jung und/oder dumm seid, könnte diese Review wie für euch gemacht sein. Und alle anderen werden mit dem Kopf schütteln, während sie lesen, wie sich ein Noob durch das Remake stümpert. Aber hey, eventuell habt ihr trotzdem ein bisschen was zu lachen dabei.
Aber lasst uns einfach mal von vorne anfangen: worum geht es in System Shock eigentlich? Ihr spielt in diesem First Person-Adventure einen namenlosen Hacker im Jahr 2072, der direkt zu Beginn des Spiels festgenommen wird, während er sich gerade illegalerweise Infos über Citadel Station beschaffen will. Nach seiner Festnahme wird er genau zu dieser Station im Weltraum gebracht, die der TriOptimum Corporation gehört. Dort bietet ihm Edward Diego an, alle Vorwürfe gegen ihn fallen zu lassen und ihm sogar ein besonders mächtiges Nervenimplantat zu verpassen, wenn er ihm dabei hilft die AI SHODAN zu hacken, was übrigens für Sentient Hyper-Optimized Data Access Network steht. Da läuft doch bestimmt alles super glatt, oder? Ihr habt es vermutlich schon erwartet, aber nein, tut es nicht. Unser Hacker wacht 6 Monate später auf der Station auf, um festzustellen, dass SHODAN die Station übernommen hat, alle Roboter plötzlich feindselig sind und die Besatzung entweder tot oder mutiert ist. Upsi.
Direkt zu Beginn fällt vor allem eines auf: Das Spiel ist absolut gnadenlos und nimmt euch keinen Meter an die Hand. Wer Stützräder erwartet oder es einfach von modernen Spielen gewohnt ist, dass einem alles vorgekaut wird und man mit einem Marker zum nächsten Quest-Punkt gelotst wird, muss sich hier erst einmal wieder umgewöhnen. Was damals noch relativ normal war, ist heute nämlich gar nicht mehr so üblich und ich muss sagen, ich bin wahnsinnig froh, dass sich die Developer*innen von Nightdive Studios dazu entschieden haben hier nicht alles umzukrempeln. Ihr müsst stets im Auge behalten, was eure nächsten Ziele sind, wo ihr hinmüsst und was ihr dafür tun musst. Und ich bin auch hier ganz ehrlich: ich musste mehrmals zurück ans Zeichenbrett, um meinen Plan noch einmal von hinten aufzurollen, weil ich eine wichtige Sache übersehen hatte. Und ich habe alles daran geliebt.
Was ihr allerdings einstellen könnt, ist der Schwierigkeitsgrad. Für verschiedene Bereiche des Spiels wie Gegner, Hacking oder Rätsel könnt ihr hier auf einer Skala zwischen 1-3 auswählen, wie schwer ihr es gerne habt. Ich dachte natürlich "Naja, ich lasse einfach überall die 2 stehen, wie schwer kann es schon sein?". Dass die Antwort ist, dass selbst der "normale" Schwierigkeitsgrad schon keine Gefangenen nimmt, hätte ich so aber nicht erwartet. Hier wird jede Unachtsamkeit bestraft, die Rätsel sind teilweise echt knifflig und manche Gegner hauen einfach rein wie ein Truck. Natürlich war ich zu stur das umzustellen, aber mit ein paar mehr Sicherheits-Saves hat auch das gut geklappt und die Atmosphäre der Citadel Station wurde so nur umso bedrückender und bedrohlicher. Aber falls ihr es lieber ein bisschen einfacher habt - schielt da vielleicht lieber auf die 1. Aufpassen muss man da immer noch genug.
Grob aufteilen kann man System Shock in 3 Bereiche: Kämpfen, Erkunden und Hacking. Damit ihr nicht komplett verteidigungslos dasteht, findet ihr im Laufe der Story immer mehr Nah- und Fernkampfwaffen, die ihr mit speziellen Modulen sogar verbessern könnt. Dieser werden gemeinsam mit Granaten sowie Heil- und Buff-Items in eurem Inventar verstaut, dass ihr euch ähnlich wie in Resident Evil 4 vorstellen könnt. Wer also gern sein Inventar organisiert, kommt hier auf seine Kosten. Außerdem findet ihr immer wieder Hardware wie etwa neue Stiefel, die euch schneller laufen lassen. Wenn ihr nicht gerade in Kämpfe verwickelt seid, versucht ihr euren Weg durch die Station zu finden, um schlussendlich SHODAN das Handwerk zu legen. Dabei kriecht ihr durch Lüftungsschächte, sammelt USB-Sticks und Sprachnachrichten, sucht Schlüsselkarten und müsst Wege finden, wie ihr in bestimmte verschlossene Bereiche kommt. Und da kommt das Hacken ins Spiel.
Wer hier jetzt einen simplen Skill-Check erwartet, wie man es aus anderen (modernen!) Spielen kennt, wird genau so überrascht wie ich. Das Hacking in System Shock ist ein eigenes Minispiel, in dem ihr aus der Ego-Perspektive durch einen Cyberspace-Abschnitt steuert, als wärt ihr ein Raumschiff. Je weiter ihr im Spiel vorankommt, desto mehr Fähigkeiten erhaltet ihr und desto schwerer werden die Hacking-Abschnitte. Anfangs könnt ihr lediglich eine normale Kanone abschießen, später kommen noch Fähigkeiten wie etwa ein Eis-Geschoß oder der Turbo-Boost dazu. In jedem Hacking-Abschnitt müsst ihr dabei verschiedene Gegner ausschalten, die mit der Zeit auch immer mehr und mächtiger werden, Barrieren öffnen, Minen ausweichen und es bis ans Ende des Abschnittes schaffen. Auch das ist zwar nicht immer leicht, ich glaube aber, dass mich bisher kein Spiel bei so etwas "banalem" wie Hacking so unterhalten hat.
Nach zwei internen Reboots und dem Wechsel von Unity auf die Unreal Engine läuft das Spiel nicht nur super flüssig, sondern sieht auch verdammt schön aus. Der Artstil schafft es durch die Integration von wahnsinnig smart eingesetzten Pixel-Texturen und -Elementen ein gewisses Retro-Feeling zu transportieren, obwohl es ohne Zweifel ein von Grund auf modernes Remake des Originals aus 1994 ist. Die Lichteffekte, das UI und im Grunde alles andere auch wurden so ins Heute gebracht, dass man es 2023 bedenkenlos spielen kann, ohne dabei aber zu vergessen, was den Reiz von System Shock damals ausgemacht hat. Obwohl alles an der Space Station bedrohlich und gefährlich ist, bin ich wahnsinnig gerne durch die Gänge geschlichen und habe immer wieder innegehalten, um mir die Umgebung genauer anzusehen. Und dabei musste ich auch wirklich nur manchmal neu laden, weil mir irgendein Roboter in den Rücken gesprungen ist. Viel zur Atmosphäre trägt hier auch der Soundtrack und vor allem das Sound Design bei, wobei ich hier sagen muss, dass es manchmal etwas schwer ist herauszufinden, woher das Röcheln oder die Stimmen genau kommen, da man auch durch Wände oft so laut hört, als würde der Gegner direkt neben einem stehen.
"System Shock ist so wunderschön gnadenlos darin, wie es einen in diese feindliche Umgebung wirft und man als namenloser Hacker alleine gegen die AI SHODAN kämpfen muss. Ebene für Ebene. Raum für Raum."
Anders als viele Leute, die sich schon jahrelang auf das Spiel gefreut haben, bin ich erst nach der letzten gamescom auf den Hype-Train mit aufgesprungen. Die Demo-Session dort hat mich so überzeugt, dass ich dem Release jetzt freudig entgegengefiebert habe und ich wurde nicht enttäuscht. System Shock ist so wunderschön gnadenlos darin, wie es einen in diese feindliche Umgebung wirft und man als namenloser Hacker alleine gegen die AI SHODAN kämpfen muss. Ebene für Ebene. Raum für Raum. Die Sprachmemos der Besatzung und SHODAN und E-Mails, die man unterwegs findet, schaffen es gemeinsam mit der Space Station selbst die Geschichte unterschwellig voran zu treiben und ihr Gewicht zu verleihen, die Kämpfe sind hart aber nie unfair und vor allem das Hacken hat es mir angetan. Ich bin super froh, dass Nightdive Studios sich dazu entschieden hat dieses Spiel in die Moderne zu bringen und es geschafft hat dabei die Grundidee nicht zu sehr zu verwässern. Ein absolut gelungenes Remake und hoffentlich nicht das Letzte, was wir vom Franchise hören.