Von Miggi
Ich bin sicher nicht der Einzige, der Hellblade: Senua’s Sacrifice bis heute als eine ganz besondere Art von Videospiel und genereller Erfahrung in Erinnerung behalten hat. Ich traue mich kaum es als "Adventure" zu bezeichnen oder es in sonst eine vorhandene Schublade der Videospiel-Genres zu stecken, so besonders war und ist bis heute die Erfahrung, die einen das Spiel durchmachen lässt. Und jetzt, fast 6 Jahre nachdem der erste Teil 2017 ursprünglich für PC & PlayStation 4 erschienen ist, bekommen wir von Ninja Theory den direkten Nachfolger dazu. Das britische Studio, seines Zeichens mittlerweile Teil der Xbox Game Studios, stellt sich dabei einer nicht gerade kleinen Herausforderung. Man kennt das von Filmen oder Musikalben: der zweite Teil eines Machwerks, der gegen die Erwartungshaltung der Fans nicht nur bestehen will, sondern diese im besten Fall sogar noch übertreffen soll. Wie das viel zu oft ausgeht, muss ich euch an dieser Stelle vermutlich nicht sagen und am Beispiel Hellblade ist diese Erwartungshaltung auch nicht gerade gering. Eine große Aufgabe also für das Studio.
Keine Sorge, im Laufe der Review seid ihr natürlich vor Story-Spoilern absolut sicher. Da, wie auch schon im ersten Teil, die Geschichte von Senua's Saga: Hellblade II ein integraler Bestandteil der Experience ist und ich euch hier so wenig wie möglich vorweg nehmen möchte, will ich hier nur kurz ein paar Eckdaten anreißen. Wie auch schon im ersten Teil begleitet ihr die Kriegerin Senua auf einer Reise, die euch diesmal durch das Island des 10. Jahrhunderts führt, basierend auf realen Schauplätzen. Nach den Ereignissen des ersten Teils und vor allem dem, was ihrem Dorf zugestoßen ist, macht sie es sich zur Aufgabe diejenigen zu retten, die der Tyrannei der Vikinger zum Opfer gefallen sind. Auf dieser Reise erwartet euch wieder allerhand Übernatürliches und was nun wirklich Realität und was Einbildung ist, werdet ihr am Ende selbst Entscheiden müssen.
Was sonst oft Nebensache ist und bei meinen Review-Prioritäten nicht an erster Stelle steht, muss ich hier direkt zu Beginn ansprechen, weil es über den gesamten Spielverlauf immer und immer wieder meine Kinnlade nach unten klappen und mich in den Fotomodus des Spiels wechseln hat lassen. Hellblade II sieht so unglaublich - und das ist an dieser Stelle kein einfaches Adjektiv, sondern nur die Essenz dessen, was da am Bildschirm passiert - aus, dass ich immer wieder am Zweifeln war, ob ich hier gerade wirklich In-Game-Grafik sehe, oder doch ein vorgerendertes Video zu sehen bekomme. Ihr erinnert euch vielleicht noch an den ersten Gameplay-Trailer während der Game Awards 2021, nach dem viele Rufe laut wurden, dass das Spiel zu Release nie im Leben so gut aussehen kann, es sich hier nicht um richtiges Gameplay handeln könnte und was nicht sonst noch alles geschrieben wurde. Und wer auch immer hier jemals gezweifelt hat, ich kann euch guten Gewissens sagen, dass Senua’s Saga: Hellblade II das optisch imposanteste Spiel ist, das ich jemals spielen durfte. Ninja Theory hat hier mithilfe diverser Technologien ein optisches Feuerwerk geschaffen, von dem ich nicht erwartet hätte, dass es in dieser Form so gut auf der aktuellen Hardware laufen kann.
Das circa 80 Personen starke Team nutzt hierzu Performance Capture von realen Schauspieler*innen, um jede einzelne Bewegung im Spiel möglichst realgetreu aufzuzeichnen und zu übertragen. Dabei wurde im sogenannten Ninja House ein eigenes Studio aufgebaut, in dem von der Bewegung von Booten auf unruhiger See bis hin zum kleinsten Fingerzucken alles feinst abgebildet und gescannt werden kann. Dies beinhaltet nicht nur die Personen, sondern auch handgefertigte Kostüme, Waffen und andere Gegenstände. Während etwa im Vergleich zum ersten Teil die Kampfbewegungen damals in zwei Tage fertig aufgezeichnet wurden, waren es hier insgesamt allein für die Kampf-Movements ganze 69 Tage. Gleichzeitig bedient sich das Studio der sogenannten Photogrammetrie, oder auch Bildmessung, um Schauplätze der realen möglichst detailgetreu in die digitale Welt zu bringen, das Spiel von Licht, Schatten und diverser Partikel trägt zusätzlich immens zur Atmosphäre bei und die Unreal Engine 5 tut dabei ihr Übriges, um das Spiel bestmöglich aussehen zu lassen. Wenn es bisher ein Spiel gab, dem ich ohne Nachzudenken den New Gen-Pass geben würde, dann diesem hier.
Aber nicht nur die optische Aufmachung des Spiels zieht euch über die gesamte Spieldauer, die nebenbei wie schon in Senua's Sacrifice einigermaßen überschaubar ist, mitten ins Geschehen. Denn auch den zweiten Teil solltet ihr unbedingt wieder mit Kopfhörern spielen, um die volle Immersion zu erfahren und euch komplett vom Spiel mitreißen zu lassen. Das Team rund um Audio Director David Garcia Diaz hat hierzu wie auch schon im Vorgänger diverse Stimmen 3D-binaural, also "für beide Ohren", aufgenommen. Bei diesem Prozess kommt ein spezielles Mikrofon zum Einsatz, das aussieht wie ein menschlicher Kopf und das es schafft, die getätigten Aufnahmen später digital rund um euch herum zu platzieren. Die Stimmen, die Senua in ihrem Kopf mit sich herum trägt, werden so täuschend echt in euren Gehörgang übertragen und es ist teilweise wirklich erschreckend wie sehr man diese Stimmen als die eigenen Begleiter*innen wahrnimmt.
Das liegt eventuell auch daran, dass das Team hier die Extra-Extra-Meile gegangen ist und diese Elemente von Senua’s Saga: Hellblade II in Zusammenarbeit mit zum einen Neurowissenschaftler Professor Paul Fletcher der Cambridge Universität und zum anderen tatsächlichen Betroffenen bzw. Personen mit erlebter Psychoseerfahrung entstanden sind. Das macht es natürlich nicht nur greifbarer für die Nicht-Betroffenen, die dieses Spiel entwickelt haben, sondern stellt auch sicher, dass die Darstellung von Themen wie Psychosen oder Stimmen im Kopf nicht fehlerhaft oder gar sogar unsensibel in der fertigen Geschichte landet. Insgesamt wird im Spiel dadurch nicht nur eine besonders dichte und bedrückende Atmosphäre geschaffen, sondern auch ein Spielerlebnis, das seinesgleichen sucht, dessen man sich vorab aber definitiv bewusst sein muss. Ich selbst wurde wieder genauso stark in die Story gezogen, wie beim ersten Mal, wenn nicht durch die Erfahrungen des ersten Teils sogar noch ein Stück mehr.
Ein Punkt bei dem man im ersten Teil aber noch ein paar kleine Schwächen bzw. Verbesserungspotential finden konnte, war das Gameplay. Die Rätsel und Kämpfe haben sich dabei etwas zu oft wiederholt und waren auf Dauer etwas eintönig. Diesen Fehler hat Senua’s Saga: Hellblade II aber nicht noch einmal gemacht und das Suchen von Runen und die Kämpfe wurden diesmal einerseits nicht so oft wiederholt, aber vor allem im Fall der Kämpfe auch so packend inszeniert und in die Story eingearbeitet, dass sich nichts anfühlt als wäre es ein Werkzeug, um die Spielzeit zu strecken. Jeder einzelne Kampf im Spiel hat mich gefordert, es wurden immer wieder neue Gegnertypen eingeführt, eine unglaubliche Vielzahl an Bewegungen und Aktionen abgefeuert und dabei alles so cineastisch umgesetzt, dass ich dauerhaft nach vorne gelehnt gespielt habe. Euch erwarten außerdem sogar Boss Encounter, die in ihren Mechaniken keine typischen Kämpfe mit dem Schwert darstellen, jedes weitere Wort darüber würde aber wieder in die Kategorie Spoiler fallen, deshalb lasse ich euch diese lieber selbst übrig. Gleichzeitig verzichtet das Spiel komplett auf jegliche UI wie Lebens- oder Ausdauerleiste, Input Prompts oder ähnliches, was die Inszenierung nur noch cineastischer wirken lässt.
Für die Rätsel wiederum musste man sich nie übermäßig den Kopf zerbrechen, trotzdem waren sie auf einem Level, bei dem man kurz einmal überlegen und sich genau umsehen musste. Gleichzeitig waren sie abwechslungsreich und nicht beschränkt auf einen Typ und mit fortlaufender Spieldauer kommen auch hier neue Elemente und Mechaniken hinzu. In der Spielwelt könnt ihr diesmal außerdem wieder Totems finden, die euch zusätzliche Lore-Schnipsel hören lassen. Neu dazugekommen sind diesmal außerdem versteckte Steingesichter, hinter denen sich ebenfalls eine fortlaufende Geschichte verbirgt und die in der Spielwelt verteilt sind. Pro abgeschlossenem Kapitel könnt ihr hier über das Hauptmenü sehen, wie viele der Collectibles ihr gefunden habt und stets direkt in eines der Kapitel zurückspringen, um alles einzusammeln. Die Abwechslung im Gameplay zwischen dem Erkunden der Welt, Kämpfen und Rätseln hatte für mich dabei die perfekte Balance und hat echt besser funktioniert als im Vorgänger.
Ein weiterer Faktor mit dem Senua’s Saga: Hellblade II punkten kann, sind die verschiedenen Schauplätze des Spiels, die eure Reise alles andere als langweilig machen. Ohne die zurückgelegte Distanz der Charaktere bzw. der Weitläufigkeit von, nun ja, Island außer Acht zu lassen, nutzt Ninja Theory diese aktiv als Stilmittel und schmückt sie mit Kamerafahrten über die weiten Landschaften der Berge, Wälder und Vulkanlandschaften. Die einzelnen Orte sind dabei genau so fotorealistisch und voller Liebe zum Detail umgesetzt worden, wie der Rest des Spiels und ich habe viel öfter einfach Landschaftsbilder mit dem Fotomodus gemacht, als ich es gerne zugeben würde. Dabei sollte auch nicht unerwähnt bleiben, dass wenn ihr Freude an vielen Funktionen in einem Fotomodus habt, Hellblade II genau euren Geschmack treffen wird. Von Bildverhältnissen, über Kamerapositionen, externe Lichtquellen und vielem mehr ist hier alles drin, was man sich wünschen könnte und ich werde vermutlich nach dem ersten Durchgang nicht den letzten Screenshot auf meiner Xbox gemacht haben.
"Was Ninja Theory hier mit Senua’s Saga: Hellblade II geschaffen hat, ist etwas ganz besonderes, das weit über die Grenzen typischer Videospiele hinausblickt und zeigt, was in diesem Medium möglich ist."
Was bin ich froh, dass ich jetzt hier trotz meiner hohen Erwartungshaltung im Vorfeld sitzen kann, ohne auch nur einen Funken Enttäuschung zu spüren. Sei es die grafische Qualität des Spiels, die über alles erhaben ist, was ich bisher gesehen oder auf der Konsole für möglich gehalten habe, das Auge fürs Detail, das man dem Spiel an jeder Ecke anmerkt, die psychologisch tiefgehenden Themen, denen sich das Studio sensibel annimmt oder die Vielfalt in Gameplay und Schauplätzen. Wenn es ein Spiel gibt, das ich so auf einer Konsole nicht in dieser Qualität für möglich gehalten habe und das es verdient sich "Next Gen" nennen zu dürfen, dann ist es das hier. Was Ninja Theory hier mit Senua’s Saga: Hellblade II geschaffen hat, ist etwas ganz Besonderes, das weit über die Grenzen typischer Videospiele hinausblickt und zeigt, was in diesem Medium möglich ist. Wie auch schon im ersten Teil werden hier Themen bearbeitet, deren Ebenen man beim ersten Spielen vermutlich nie alle verstehen kann und das in einer Qualität, die ihresgleichen sucht. Hellblade: Senua’s Sacrifice war damals eine ganz besondere Erfahrung, an die ich bis heute zurückdenke. Senua’s Saga: Hellblade II reiht sich da nahtlos ein und schafft es dabei noch diverse Aspekte des ersten Teils zu verbessern und zu optimieren. Für alle Game Pass-Abonnent*innen da draußen sollte der Titel ein absoluter No-Brainer sein und auch allen anderen empfehle ich reinzuspielen.