Von Miggi
"Das ging jetzt doch schneller als gedacht", ist ein Satz der in Verbindung mit Psychonauts 2, den 6 vergangenen Jahren seit der Crowdfunding-Kampagne auf fig.co und den 16 Jahren seit dem ersten Teil eigentlich nicht wirklich angebracht klingt. Trotzdem habe ich mir genau das gedacht, als das Spiel um 2 Uhr Nachts dann spielbar war und ich es endlich starten konnte. Da kann man sich fast freuen, dass die gamescom dieses Jahr wieder nur digital stattfindet und man den Urlaub eben dann so nutzen kann.
Begrüßt werdet ihr im Nachfolger zum Xbox- & Playstation 2-Spiel aus dem Jahr 2005 mit einer sehr witzig animierten Intro-Sequenz, die euch zeigt, was bisher passiert ist. Solltet ihr nämlich entweder den ersten Teil nie gespielt haben oder eben nicht so irre sein wie ich, der den Titel die Jahre über immer wieder mal gespielt hat - kürzlich auch erst auf Twitch - könnte sich das als ganz nützlich erweisen. Teil Zwei setzt nämlich nur ein paar Stunden nach dessen Ende (und dem des VR-Ablegers Rhombus of Ruin) ein.
Ihr übernehmt wieder die Kontrolle über den jungen Razputin "Raz" Aquato, der im Sommercamp Whispering Rock nicht nur seine psychischen Fähigkeiten entdeckt hat, sondern im selben Atemzug
auch gleich noch die Welt und die Psychonauten gerettet hat. Am Rückweg zum HQ haben er, Sasha Nein und Milla Vodello dann noch den großen Kopf ebendieser aus den Klauen des bösen Dr. Loboto
befreit und Raz darf sich jetzt als großer Held feiern lassen. Ach sorry. Ich meinte natürlich Praktikant. Was folgt ist eine spannende Story rund um die Ursprünge der Psychonauten selbst,
Intrigen und Razputins Familiengeschichte.
Als Teil einer Truppe junger Anwärter dürft ihr nach dem Tutorial erst mal das Hauptquartier der Psychonauten erkunden, euren Mentor kennenlernen und euch mit euren Fähigkeiten vertraut
machen. Mehrere Skills aus dem ersten Teil, wie der Schwebeball oder die Telekinese, sind direkt von Anfang an verfügbar, gleichzeitig bekommt ihr in Psychonauts 2 natürlich auch neue,
wie etwa das Verbinden von Gedanken, das relativ zu Beginn des Spiels eingeführt wird und die Story direkt mal in Fahrt bringt. Über das Spiel verteilt könnt ihr eure Fähigkeiten außerdem
verbessern und euch mit Pins noch zusätzliche Perks verschaffen.
Das Gameplay hat sich im Vergleich zum Vorgänger eigentlich nicht großartig verändert. In guter alter 3D Plattformer-Manier lauft und hüpft ihr durch diverse Level, kämpft mit euren
Fähigkeiten gegen verschiedene Gegner oder nutzt diese außerhalb der Kämpfe, um diverse Collectibles einzusammeln. Was mir aber direkt zu Beginn aufgefallen ist, ist wie gut sich
Psychonauts 2 spielt. Wo der erste Teil noch Schwierigkeiten mit manchmal hakliger Steuerung hatte und nicht zu 100% rund lief, gibt es hier absolut gar nichts mehr zu meckern. Das
Gameplay läuft komplett flawless und an keinem Punkt meines Playthroughs musste ich mich über das Spiel ärgern, wenn ich mal in einen Abgrund gestürzt bin.
Und dasselbe kann man auch über die Optik sagen. Ich meine, ja klar, natürlich sollte ein Spiel, das 2021 erscheint, besser aussehen als sein Vorgänger von vor 16 Jahren. Und das tut es
natürlich auch. Die Licht- und Schatteneffekte sind gut gesetzt, die Welt ist voller kleiner Details und alles sieht sehr gut aus. Aber auch abseits des offensichtlichen grafischen Upgrades hat
das Spiel wesentlich mehr Feinschliff verpasst bekommen. Double Fine Productions hat es geschafft detailreiche Texturen mit dem serientypischen und sehr speziellen Artstil zu
kombinieren, ohne dabei zu vergessen, was Fans an Psychonauts lieben.
Was den ersten Teil für mich und viele andere so großartig gemacht hat, war aber eigentlich weder das Gameplay noch die Grafik, sondern der Humor und die irren Level-Ideen. Jede Welt, die
man in Psychonauts betritt, ist ein Hirn eines Charakters in der Welt und somit eng verknüpft mit dieser Person. Und hier lag vermutlich die größte Herausforderung für Tim Schafer und
sein Team. Denn wer den ersten Teil gespielt hat weiß, dass dort schon sehr viel Ideen in die virtuellen Hirne gepackt wurden. Der Versuch diese Stimmung wieder einzufangen und gleichzeitig um
neue Ideen zu erweitern, ist vielen zweiten Teilen schon zum Verhängnis geworden.
Tja, aber nicht Psychonauts 2. Auch wenn es 16 Jahre gedauert hat, bis das Spiel erscheint, oder vielleicht genau deshalb, haben es die Entwickler*innen geschafft die Atmosphäre
des ersten Teils nicht nur wieder aufzukochen, sondern alles auf ein neues Level zu heben. Die Abschnitte strotzen voller Ideen, man kann an jeder Ecke kleine Easter Eggs finden und in jedem
großen Level habe ich mindestens ein Mal laut über ein Level-Element gelacht. Gleichzeitig ist das Spiel in seinen Mechaniken und dem Aufbau unfassbar abwechslungsreich und streut einem immer
wieder neue Ideen ins Gameplay.
Ein wichtiger Teil der Atmosphäre sind aber nicht nur visuelle Elemente, sondern auch der Audio-Faktor. Auch hier ist Double Fine die Extrameile gegangen und hat für die Synchro die Original-Sprecher*innen aus dem ersten Teil wieder die Rollen von Raz, Sasha, Ford und Co. übernehmen lassen. Für den Soundtrack, der teils neue Stücke und teils neu arrangierte Songs aus dem ersten Teil enthält, hat man sich dazu entschieden Teile in den Skywalker Studios aufzunehmen, wie damals in Day of the Tentacle oder Full Throttle und sogar Stars wie Jack Black haben eine (nicht mal kleine) Gastrolle im Spiel. Brütal Legend lässt grüßen.
"Psychonauts 2 liefert in jedem Bereich eine besondere Spielerfahrung, wie nur ein Studio wie Double Fine sie abliefern kann."
Nachdem ich Psychonauts zu einem meiner absoluten Lieblingsspiele ever zähle, war ich wahnsinnig nervös je näher der Release des zweiten Teils rückte. Es hätte mich wirklich gebrochen, wenn das Spiel nicht gut geworden wäre. Aber schon nach der ersten Stunde war mir klar, dass ich aufatmen konnte. Psychonauts 2 liefert in jedem Bereich eine besondere Spielerfahrung, wie nur ein Studio wie Double Fine sie abliefern kann. Das Spiel strotzt vor witziger Ideen, sieht dabei wahnsinnig gut und polished aus, spielt sich wahnsinnig gut und war mit seinen rund 15 Stunden Spielzeit von vorne bis hinten ein ganz besonderes Videospiel-Erlebnis für mich. Wer ein Game Pass-Abo hat sollte unbedingt einen Blick auf das Spiel werfen, aber auch sonst führt eigentlich kein Weg am Spiel vorbei. Außer ihr wollt eines der besten Spiele des Jahres - und mein persönliches GOTY - verpassen.