Von Miggi
Wenn man mich nach den besten SNES-Spielen fragt, wird vor allem ein Spiel in meiner persönlichen Liste immer auftauchen: Final Fantasy VI. Das Spiel hat es zwar auf der 16-Bit-Konsole nie nach Europa, sondern nach dem ursprünglichen Japan-Release, lediglich in die USA geschafft, spätestens mit dem Port für die Playstation 1 kamen auch wir offiziell in den Genuss des Klassikers. Der orchestrale Soundtrack, die tiefgehende Geschichte, die umfangreiche Charakter-Auswahl und das für damalige Verhältnisse herausstechende Design haben den Ableger bis heute zu meinem Highlight der Final Fantasy-Reihe gemacht. Entwickelt wurde das Spiel damals von Square, die 2002 mit dem Entwicklerstudio Enix fusionierten. Und eben genau Square Enix hat es sich 2018 zur Aufgabe gemacht, das Genre des rundenbasierten JRPGs wieder in die Neuzeit zu holen. OCTOPATH TRAVELER, das am 13. Juli erschien, soll genau das bewerkstelligen. Die Hoffnungen in den Switch-exklusiven Titel sind auf jeden Fall hoch.
Square Enix selbst war auf jeden Fall schon im Vorfeld von der Qualität ihres neuesten Machwerks überzeugt. Nicht nur eine, sondern gleich zwei Demo-Versionen wurden im Vorfeld gratis im Nintendo eShop veröffentlicht, die zweite davon sogar mit einer Spielzeit von ganzen drei Stunden. In der zweiten Demo konnte außerdem sogar der Spielfortschritt mit ins Hauptspiel übertragen werden. Wer selbst an seinem Spiel zweifelt, geht nicht so in die Vollen damit. Für alle, die schon heiß auf das Spiel waren, war es natürlich die perfekte Gelegenheit schon vorab in die Welt einzutauchen. Und das waren nicht wenige, denn Nintendo hat OCTOPATH TRAVELER gemeinsam mit Square Enix exzessiv beworben und in ihren Nintendo Direct-Präsentationen immer sehr prominent platziert, wie auch bei der vergangenen E3. Neben Hollow Knight landete im Juni also auch Demo Nummer zwei in meinem digitalen Warenkorb und ich habe mich sehr darauf gefreut, das JRPG mit eigenen Augen bewundern zu dürfen. Die erste Test-Version habe ich noch ausgelassen, um mich nicht zu sehr zu spoilern. Die Mechanik, dass ich den Spielstand übertragen konnte, kam mir für meine Ungeduld aber genau recht.
Sofort ins Auge stach natürlich auch schon in den diversen Trailern der ungewöhnliche und bisher nicht dagewesene Look des Spiels. Die Kombination aus Retro-Look und Pixeloptik mit trotzdem zeitgemäßen 3D-Effekten führt das beste aus zwei Welten zusammen und hat viele Augen groß werden lassen. Von den Entwicklern selbst wird das ganze HD-2D genannt und die Beschreibung passt wie das Schwert auf den Moosschwein-Kopf. Denn unter der Haube von OCTOPATH TRAVELER steckt weit mehr, als es der erste Anblick vermuten lässt. Neben den Charakteren, die auf Sprites basieren, haben die Entwickler mit der Unreal Engine 4 ganze Arbeit geleistet: alles in der Spielwelt wurde aufwändig in 3D modelliert und im Nachhinein mit einer Textur versehen, die es wieder so aussehen lässt, als wäre es pixeliger, als es eigentlich ist. Licht und Schatten, die Tiefenschärfte, das zeitgemäß gerenderte Wasser, dynamische Flaggen und verschiedene Umgebungseffekte, wie das Glitzern des Schnees, sind aber mehr als modern und hätten in einem Spiel der 16-Bit-Ära auf keinen Fall so stattfinden können. So wird ein Gesamtlook erschaffen, der gleichzeitig von der aktuellen Technik Gebrauch macht und trotzdem den typischen Charme diverser 90er-Jahre RPGs mit sich bringt.
Die Story von OCTOPATH TRAVELER ist in acht Teile geteilt - bzw. acht Charaktere. Zu Beginn des Spiels müsst ihr euch für eine der acht Figuren entscheiden, welche euch bis zum Schluss als Hauptfigur erhalten bleibt. Auf eurem Weg trefft ihr nach und nach auf die anderen sieben Helden und Heldinnen, die ihr auf eurer Weltkarte eingezeichnet seht. Habt ihr alle acht beisammen sind bereits einige Spielstunden, bei mir waren es ca. 15, ins Land gezogen und ihr könnt euch endlich eure Traumparty zusammenstellen. Jeder von ihnen bringt nämlich ganz besondere Fähigkeiten im Kampf und außerhalb davon mit, die ihr euch auf eurer Reise zugunsten machen könnt. Klerikerin Ophilia eignet sich perfekt als Heilerin und kann Dorfbewohner zur Unterstützung in den Kampf führen. Der Gelehrte Cyrus ist der geborene Magier und ein äußerst begabter Detektiv - mit ihm findet ihr Verborgenes über NPCs heraus. Dieb Therion, der mein Startcharakter war, kann - Überraschung - Gegenstände von anderen stehlen und teilt im Kampf mit Schwert und Dolch aus. Der Krieger Olberic kann NPCs zum Kampf herausfordern und schlägt besonders hart zu. Die Tänzerin Primrose kann NPCs dazu verführen sie zu begleiten und stärkt mit verschiedenen Tänzen ihre Mitreisenden. Apotheker Alfyn braut Tränke, die sich auf euch oder die Gegner auswirken können, hat Heilzauber im Gepäck und noch dazu eine starke Hand an der Axt. Die Händlerin Tressa kann anderen Gegenstände abkaufen, teilt mit Bogen und Lanze aus und beherrscht Windzauber. Und Jägerin H'aanit kann wie der Krieger NPCs um Kampf fordern und als Spezialfähigkeit verschiedene Monster fangen und mit in den Kampf führen. Theoretisch könnt ihr auch in die weiteren Kapitel vordringen, ohne alle Charaktere mitzunehmen, aber für mich persönlich hat es mehr Sinn ergeben, erst einmal alle einzusammeln.
Jeder Charakter hat dabei eine komplett eigenständige Story, die mit jeweils einem Prolog eingeleitet wird, der ca. 2 Stunden dauert. Je später ihr den Charakter findet, desto höher der empfohlene Level, den der Charakter am Schluss seiner Einleitung erreicht haben sollte. Diese Levelempfehlungen findet ihr einerseits auf eurer Weltkarte und andererseits wird sie euch am Bildschirmrand angezeigt, wenn ihr kurz davor seid ein neues Gebiet zu betreten. Diese solltet ihr auch auf jeden Fall beachten, da die Gegner in den neuen Bereichen wirklich stark sind und ihr mindestens den angegebenen Level mit euren Charakteren erreicht haben solltet. Empfehlenswert ist es noch ein paar Erfahrungspunkte mehr zu sammeln, als das Spiel mindestens von euch erwartet. So macht ihr euch das Leben in der Spielwelt Orsterra um einiges leichter. Wie so viele der älteren Vorbilder bietet auch OCTOPATH TRAVELER Zufallskämpfe, während ihr durch die diversen Abschnitte lauft. Lediglich die Bosskämpfe sind jeweils zu erahnen, da vor ihnen immer noch ein Speicherpunkt platziert ist. Zwischen den verschiedenen Kapiteln werdet ihr aber auch teilweise dazu gezwungen, eure Charaktere durch Grinden, also vielen sich wiederholenden Kämpfen, aufzuleveln. Tut ihr das nicht, steht ihr sehr bald vor dem Problem, dass euch die Gegner stärkemäßig weit überlegen sind. Was mich in vielen RPGs gestört hat, war hier aber nicht störend für mich. Und das hatte einen ganz besonderen Grund. In den verschiedenen Städten findet ihr außerdem Nebenquests, die ich euch mit Geld und Items belohnen.
Das Kampfsystem selbst bietet verdammt viel Tiefe. Natürlich müsst ihr eure Charaktere wie in jedem RPG gut aufeinander abstimmen, was die Fähigkeiten betrifft. Es macht keinen Sinn drei heilende Charaktere im Team zu haben und dafür keine Figur, die richtig austeilen kann. Im neuen Machwerk von Square Enix hat man aber noch einige weitere Elemente eingebaut, die man bei der Partyerstellung beachten sollte. Jede Figur hat eine oder zwei Waffen, darunter Dolche, Schwerter, Lanzen oder Bögen und/oder verschiedene Element-Zauber, wie Wind, Feuer, Eis, Licht oder Dunkelheit. Von diesen sollte man immer so viele wie möglich mithaben, denn jeder Gegner im Spiel hat verschiedene Schwachstellen. Während also ein Monster also empfindlich gegen Schwerthiebe ist, widersteht ein anderes im gleichen Kampf diesen komplett. Habt ihr damit oft genug die Schwachstelle des Gegners getroffen, ist dieser für eine oder zwei Runden außer Gefecht und ihr habt Zeit noch mehr Schaden anzurichten oder euch selbst zu heilen und zu stärken. Dazu kommt noch eine Boost-Anzeige, die sich von Runde zu Runde auflädt und eure Attacken verstärkt oder euch mehrmals in einem Zug angreifen lässt. Das mag nun geschrieben etwas verwirrend klingen, nach kurzer Spielzeit hat man den Dreh aber sofort raus und versinkt in dem Kampfsystem komplett. So macht das Grinden dann doch Spaß.
Ausrüsten könnt ihr eure Charaktere nach Belieben mit Gegenständen, die ihr entweder in Städten kauft oder unterwegs in Schatztruhen findet. Zusätzlich zu den Waffen und der Rüstung könnt ihr zusätzlich Ringe oder Ketten ausrüsten, die bestimmte Fähigkeiten stärken. Manche machen euch schneller, wodurch ihr früher angreifen könnt und andere geben euch mehr Manapunkte. Kombinieren könnt ihr das zusätzlich mit euren Job-Skills. Je weiter ihr eure Charaktere auflevelt und je mehr Fähigkeiten sie lernen, desto mehr passive Job-Skills erlernen sie auch. Alfyn erhält ab einem bestimmten Zeitpunkt zum Beispiel sehr viele HP mehr. Spätestens ab den Zweitjobs, die ihr ab einem bestimmten Zeitpunkt zuteilen könnt, wird auch diese Mechanik sehr spannend und kann eure Charaktere um einiges stärker machen, wenn ihr die Fähigkeiten richtig einsetzt. Und zu guter letzt ist auch der Soundtrack Square Enix wahnsinnig gut gelungen. Dramatische Tracks die die Kämpfe passend untermalen, lockere Musik in kleinen Dörfern, ausgelassene Rythmen in den verschiedenen Bars, mystische Musik in Höhlen - das neue Rollenspiel im HD-2D-Look bietet das volle Programm und das auf einem hohen Niveau.
"Square Enix hat mit OCTOPATH TRAVELER in einem fast ausgestorbenen Genre ein mehr als lautes Lebenszeichen abgeliefert und wir können nur hoffen, dass es nicht der letzte Titel dieser Machart bleiben wird."
OCTOPATH TRAVELER bringt den jahrelangen Wunsch vieler Genre-Fans nach einem klassischen rundenbasierten JRPG der alten Schule mit den Möglichkeiten aktueller Technik und neuen Twists auf die Nintendo Switch. Ein paar kleine Kritikpunkte wie die teilweise zu oberflächliche Interaktion zwischen den Charakteren und acht seperate Geschichten anstatt einer großen Story für alle, wischen für mich persönlich der liebevoll designte Look, das tiefgründige Kampfsystem, die perfekt passende Fantasy-Musik und damit die komplette Atmosphäre des Spiels komplett vom Tisch. Square Enix hat mit OCTOPATH TRAVELER in einem fast ausgestorbenen Genre ein mehr als lautes Lebenszeichen abgeliefert und wir können nur hoffen, dass es nicht der letzte Titel dieser Machart bleiben wird.