Nobody Wants to Die

   Von Miggi

Titelbild zu Nobody Wants to Die von Critical Hit Games und PLAION

Kennt ihr diese düsteren Detektiv-Filme, in denen ein einzelgängerischer Polizist oder eben Privatdetektiv einen Fall lösen muss, der im ersten Moment relativ simpel wirkt, aber immer mit mehr Twists daherkommt und der Protagonist immer tiefer in eine Verschwörung gezogen wird? Währenddessen kommentiert er selbst als Stimme aus dem Off das Geschehen, dabei natürlich immer mit einer tiefen und grummeligen Stimme und meistens auch sehr viel Nihilismus und persönlichen Problemen? Das ganze dann noch als Film noir und man hat einen stimmungsvollen Film, von denen vermutlich jede*r da draußen schon mal einen gesehen hat. Und jetzt stellt euch das ganze als Spiel vor, das aber nicht in den 40er/50er Jahren spielt, sondern in einer dystopischen Cyberpunk-artigen Zukunft. Genau das ist Nobody Wants to Die vom polnischen Studio Critical Hit Games und wenn ihr jetzt neugierig geworden seit, solltet ihr dringend weiterlesen.

Der zynische Detective heißt in diesem Fall James Karra. Er nimmt zu Beginn des Spiels von seinem Vorgesetzten einen inoffiziellen Fall an, bei dem ihm nur die junge Polizistin Sara Kai zur Seite stehen soll. Relativ schnell finden die beiden mehr heraus als ihnen lieb ist und es kommt wie es kommen muss: James begibt sich auf die Suche nach einem Serienmörder, der sich die Elite der Stadt ins Visier genommen hat. Mit Sara gerät er mit seinem Zynismus dabei immer wieder aneinander, hat immer wieder Wahnvorstellungen seiner Frau und auch sonst ist er nicht der umgänglichste Charakter. Hat er ein Alkohol- und Tabletten-Problem? Jap. Kann man es ihm in einer Zukunft wie dieser so richtig übel nehmen? Vermutlich nicht. Denn im Jahr 2329 läuft in New York nicht mehr alles so geil. Der Spieltitel verrät es schon: in dieser Zukunftsvision will und kann niemand so richtig sterben. Das als Ichorite bezeichnete Bewusstsein einer Person wird hier in neue Körper verpflanzt oder in Gedächtnisbanken verstaut. Cyberpunk-typisch hängen daran allerdings einige Kosten bzw. ein Abo-Modell und sagen wir mal so: die ärmeren Bevölkerungsschichten haben weitaus mehr Probleme mit dieser Idee als die Elite.

Detective James Karra sitzt mit einem Flachmann in seinem fliegenden Auto über New York in Nobody Wants to Die von Critical Hit Games und PLAION
Einfach mal die Seele (und die Beine) baumeln lassen. Auch in der Zukunft wichtig.

Schon im Intro und dem ersten Story-Abschnitt, der euch an die verschiedenen Mechaniken des Spiels heranführen soll, bekommt man als Spieler*in einen sehr guten Eindruck was sich hinter Nobody Wants to Die verbirgt. Ein erster Teil des Spiels sind Sequenzen wie das Intro, in dem ihr mit Gegenständen interagieren, diese genau untersuchen und euch einen Eindruck der Spielwelt verschaffen könnt. Diese Abschnitte lassen euch nicht nur immersiv ins Jahr 2329 eintauchen, sie erzählen euch auch sehr viel über die Charaktere und ihre Backgrounds. Umso genauer ihr euch dabei umschaut und eventuell auch versteckte Gegenstände findet, desto mehr Hintergrund-Wissen erhaltet ihr für den weiteren Verlauf. Wir hatten das Thema Environmental Storytelling gerade erst bei SCHiM, auch wenn es ein ganz anderes Genre ist, aber auch bei Nobody Wants to Die muss ich wieder herausstreichen wie gut das hier funktioniert und wie viel besser sich das Spiel dadurch anfühlt. Die Spielwelt fühlt sich lebendiger an und die Story geht einem dadurch wesentlich näher.

 

Teilweise verstecken sich hinter Gegenständen auch wichtige Infos, die ihr für Gesprächs-Optionen braucht. Ein weiterer Teil des Gameplays sind nämlich die Dialoge, die ihr mit verschiedenen Antwort-Optionen vorantreiben könnt. Manche dieser Antwortmöglichkeiten sind dabei an Bedingungen geknüpft, wie eben Gegenstände oder Infos, die ihr gefunden habt, aber auch eure Beziehung zur jeweiligen Person basierend auf euren Entscheidungen in der Spielwelt und vergangenen Antworten. Diese Gespräche fühlen sich aber nicht nur dadurch sehr "real" an, sondern auch durch die verdammt gute Synchro-Leistung. Vor allem Philip Sacramento als Protagonist James Karra und Keaton Talmadge als seine Partnerin Sara Kai, die man im Spiel am häufigsten hören wird, machen dabei einen fantastischen Job, aber auch alle anderen Figuren sind richtig gut gesprochen und tragen so sehr stark dazu bei, dass man sich gerne in diese Welt und die Story hineinziehen lässt.

James Karra scannt einen Menschen mit Rippenbrüchen mit seinem Röntgen-Gerät in Nobody Wants to Die von Critical Hit Games und PLAION
Wären hier nicht alle quasi unsterblich würd ich mir um den Dude hier sorgen machen.

Der letzte und gleichzeitig Gameplay-intensivste Teil des Spiels sind die Untersuchungen. An der Stelle muss man aber auch kurz erwähnen, dass sich Nobody Wants to Die generell nicht so stark auf das Gameplay selbst, sondern eher auf die Story und die Spielwelt bzw. Atmosphäre fokussiert. Wenn ich also "Gameplay-intensiv" sage, meine ich definitiv nicht komplex oder kompliziert. Detective Karra hat in seinem Inventar  diverse High-Tech-Gadgets, die ihm auf modernste Art und Weise dabei helfen sollen den Fall zu lösen. Am wichtigsten ist dabei der Rekonstruktor, der die Zeit manipuliert und euch in Echtzeit anzeigen kann, was die Personen am Tatort gemacht haben, was sie dabei in der Hand hielten und noch vieles mehr. Habt ihr einen Point of Interest gefunden, könnt ihr diesen analysieren und von dort ausgehen dann die Zeit zurückdrehen. So stellt ihr explodierte Möbel wieder her, um an den eigentlich kaputten Safe zu kommen, lasst eine ermordete Person wieder aufstehen und ihre letzten Momente vor euch ablaufen und noch vieles mehr. Diese Mechanik sieht nicht nur optisch sehr cool aus, sondern erweist sich auch als wirklich nützlich. Vor allem, weil ihr davon ausgehend noch viel mehr machen könnt.

 

Da wäre z.B. euer Röntgen-Gerät, mit dem ihr Brüche und Ichorite-Spuren, aber auch Projektil-Flugbahnen und unterirdische Kabel sehen und verfolgen könnt. Wenn euch der Rekonstruktor also zeigt, dass jemand erschossen wurde, wechselt ihr schnell zum X-Ray, verfolgt die Flugbahn und findet schnell heraus von wo der Schuss abgefeuert wurde. Neben einer Kamera, mit der ihr Beweisfotos aufnehmen und an Sara schickt, habt ihr außerdem auch noch eine UV-Lampe, mit der ihr für das menschliche Auge unsichtbare Blut- und andere Flüssigkeitsspuren verfolgen könnt. Am Ende kombiniert ihr alle gefundenen Hinweise auf einem interaktiven Board zu eurer Schlussfolgerung und dann geht's weiter zum nächsten Abschnitt. In Kombination hat es mich echt gut bei Laune gehalten die Tatorte genauestens zu untersuchen, um hoffentlich nichts zu übersehen. Ich hätte mir an der ein oder anderen Stelle aber auch gewünscht, dass mich das Spiel ein bisschen mehr selbst herausfinden und rätseln lässt und mich weniger an der Hand nimmt. Trotz High Tech-Gadgets hat alles dabei den Noir-Stil beibehalten und die Kombination aus Cyberpunk'scher Zukunfts-Dystopie und dem Stil  der 40er/50er-Jahre hat für mich wahnsinnig gut funktioniert.

Detective James Karra beobachtet einen Messerangriff mit seinem Rekonstruktor in Nobody Wants to Die von Critical Hit Games und PLAION
Ich glaube der Kollege hier hat nicht vor Butter mit seinem Messer zu schneiden.

Zugute kommt dem Spiel neben der Synchro und dem Storytelling natürlich auch die Optik und dabei vor allem die technischen Möglichkeiten der Unreal Enginge 5. Diese wurden gekonnt genutzt und Nobody Wants to Die sieht nicht nur realistisch aus, sondern hat gleichzeitig einen einzigartigen Stil, der das Spiel nicht so wirken lässt, als wäre es einfach eine weitere UE5 Tech Demo ohne Seele. Warum das Spiel keinen Fotomodus zu Launch bekommen hat, kann ich beim besten Willen nicht verstehen, denn ich hätte echt gerne ab und zu pausiert, einen in Szene gesetztes Bild gemacht und mich einfach nur darüber gefreut, wie schön das alles aussieht. Ihr seht es ja auch an den Screenshots in der Review: egal ob Neonreklamen, Charaktermodelle, Wind und Regen, Licht- und Schatteneffekte, Feuer und Explosionen - alles sieht super crispy und realistisch aus und Critical Hit Games hat hier "Das Auge spielt mit" definitiv wörtlich genommen. Für ein Debüt-Spiel das so aussieht und dabei trotzdem nicht ruckelt oder andere grobe technische Mankos hat, kann man echt nur den Hut ziehen.

"Nobody Wants to Die ist nicht nur ein beachtliches Debüt-Werk, sondern auch eine Experience, in die ich mich gerne und ohne es zu bereuen fallen lassen habe."

Wenn Bladerunner, Bioshock und Noir-Filme, mit vom Leben gebeutelten Detectives als Protagonist, sich zusammentun, dann kommt dieses Spiel dabei raus. Das Spiel hat mich im ersten Moment durch die beeindruckende Optik und das Setting abgeholt und neugierig gemacht und es dann durch die immersive Inszenierung, die wahnsinnig gut synchronisierten Charaktere und die spannende Story geschafft mich die gesamte Spieldauer über zu begeistern. Das Gameplay gewinnt jetzt nicht unbedingt einen Preis, was die Schwierigkeit der Rätsel bzw. Fälle angeht, dabei hat es aber genug Kniffe und Ideen, die es frisch genug sein lassen. Der Rekonstruktor ist eine smarte Idee, damit man gebannt die Untersuchungen verfolgt und am Ende ist das Spiel mit seinen etwa 6 Stunden Spielzeit auch nicht so lange, dass Dinge zu oft wiederholen würden. Nobody Wants to Die ist nicht nur ein beachtliches Debüt-Werk, sondern auch eine Experience, in die ich mich gerne und ohne es zu bereuen fallen lassen habe. Ich bin auf jeden Fall sehr gespannt, was Critical Hit Games als nächstes für uns bereit hält und bis dahin versuche ich eventuell noch ein besseres Spielende zu erreichen. Irgendwie glaube ich nämlich, dass ich das Bad Ending erreicht habe und das kann ich so nicht auf mir sitzen lassen!

Wertung zu Nobody Wants to Die von Critical Hit Games und PLAION
4 von 5 Uroboros-Flaschen.