Neva

   Von Miggi

Titelbild zu Neva von Nomada Studio und Devolver Digital

Wenn mir jemand vor ein paar Wochen gesagt hätte, dass es schon fast 6 Jahre her ist, dass das spanische Entwicklungs-Team Nomada Studio das Indie-Game GRIS veröffentlich hat, hätte ich es vermutlich nicht geglaubt. Fühlt sich auf jeden Fall nicht so an, als wäre das schon so lange her, als ich das Spiel auf meiner Switch gespielt habe. Aber hey, die Switch ist ja auch schon über 8 Jahre alt und die Pandemie hat sowieso mein Gefühl für Zeit komplett zerstört. Ich persönlich fand GRIS damals auf jeden Fall wahnsinnig schön, die Stimmung und der Artstyle des Spiels blieben mir bis heute sehr positiv im Gedächtnis und auch, wenn das Gameplay etwas mau war, würde ich das Spiel bis heute ohne Bedenken weiterempfehlen. Mit Neva, das bereits im Mai 2023 angekündigt wurde, bringen Nomada und Devolver Digital nun das neueste Machwerk des Studios heraus und schlagen damit auf den ersten Blick in eine ähnliche Kerbe und das meine ich absolut nicht negativ, im Gegenteil. Fans von GRIS werden so direkt einmal mit ins Boot geholt, aber schauen wir einmal genauer hin, ob auch Neulinge etwas mit dem Titel anfangen können.

Das Spiel lässt euch in eine auf den ersten Blick wunderschöne Welt eintauchen, in der die junge Frau Alba gemeinsam mit zwei wolfsähnlichen Wesen lebt. Schnell wird aber klar, dass die Welt nicht ganz so heile ist, wie sie auf den ersten Blick zu sein scheint, sondern durch eine dunkle Magie korrumpiert wird. Alba nimmt daher das titelgebende Wolfsjunge Neva unter die Fittiche und die beiden machen sich gemeinsam auf eine Reise in der sie eine immer enger werdende Beziehung zueinander aufbauen. Auf dieser Reise müssen sich die beiden einigen Gefahren stellen und als Spielende begleiten wird sie dabei über einen längeren Zeitraum, in dem Neva zu einem erwachsenen Wolf heranwächst. Und wie es nun mal so ist mit Kindern die größer werden, geht auch Neva durch rebellische Teenager-Phasen und mehr. Die emotionale Bindung der beiden Hauptfiguren ist dabei ein wichtiger Bestandteil der Handlung und auch des Gameplays und wie ich finde sehr gut ins Spiel integriert, ohne zu aufgesetzt zu wirken oder einem mit der Brechstange random Gefühle näher bringen zu wollen.

Alba und Neva laufen durch eine weite Landschaft auf einer Wiese vor einem Berg im Hintergrund in Neva von Nomada Studio und Devolver Digital
Es kann gar nicht genug weite Panorama-Landschaften in 2D-Platformern geben.

Das Spiel selbst fühlt sich an, als hätte man GRIS als Vorbild genommen, analysiert welche Schwächen der vorangegangene Titel hatte und versucht diese so gut es geht auszumerzen. Ihr bewegt euch wieder in einem 2D-Platformer nach links oder rechts, habt einen Doppelsprung und einen Dash bzw. eine Ausweichrolle. Das alles passiert hier im Vergleich wesentlich schneller bzw. agiler als in GRIS und hat mir persönlich aus Gameplay-Sicht wesentlich besser gefallen, ohne dabei zu sehr in eine Kerbe zu schlagen, in der das Gameplay komplett im Fokus steht und die Story bzw. Spielwelt in den Schatten gerückt wird. Aber keine Sorge: die Platforming-Herausforderungen sind dabei nie so schwer wie in einem Celeste oder ähnlichen Titeln, nur ab und zu gibt es auch Passagen, die etwas mehr von euch abverlangen und bei denen das Timing eurer Sprünge nicht unwichtig ist. Die Steuerung und das Feedback der Figur ist dabei so wie es sein soll und man springt nicht ungewollt in Abgründe, nur weil Alba nicht so reagiert, wie man es erwartet.

 

Ein weiterer elementarer Teil des Spiels sind die Kämpfe. Alba trägt hierfür ein Schwert, mit dem ihr entweder am Boden oder in der Luft angreifen könnt. Seid ihr gerade am Springen und führt eure Attacke nach unten aus, könnt ihr euer Schwert nach unten in den Boden rammen und so entweder Gegner von oben treffen oder brüchige Bodenplatten durchbrechen. Mit der Ausweichrolle bzw. dem Dash könnt ihr kurze Zeit nicht von gegnerischen Angriffen getroffen werden und im weiteren Spielverlauf wird Neva immer mehr zur Hilfe. Je größer Neva nämlich wird, desto aktiver könnt ihr auf Hilfe im Kampf zählen, im Erwachsenen-Alter könnt ihr dann sogar per Button-Eingabe Neva in eine Richtung auf eure Gegner schicken und diese so entweder kurzzeitig außer Gefecht setzen oder auch besiegen lassen. Die Gegner werden dabei im weiteren Spielverlauf immer stärker und es erwarten euch auch ein paar Bossfights im Spiel. Auch die Kämpfe sind nicht unfassbar schwer, haben mich teilweise aber schon etwas gefordert und ein paar Versuche mehr gefordert, als mir lieb war.

Alba und Neva laufen unter einer Hängeweide in Neva von Nomada Studio und Devolver Digital
Manche Standbilder wirken einfach wie Portraits, die man sich genau so an die Wand hängen würde.

Die Levels sind in Neva unterteilt in 4 Hauptkapitel, in denen ihr die einzelnen Abschnitte jederzeit separat auswählen könnt. Das macht deshalb Sinn, weil es im ganzen Spiel versteckt Collectibles gibt, die ihr finden könnt. Das sind Blumenknospen die aufblühen, wenn ihr sie erreicht, diese sind allerdings teilweise echt gut versteckt, ihr müsst also eure Umgebung ab und zu wirklich gut absuchen, um alle zu finden. Aber auch mit anderen Gegenständen und Lebewesen könnt ihr in der Welt interagieren, ohne dabei aktiv etwas freizuschalten, außer vielleicht eine optionale Szene bzw. Interaktion mit Neva oder ein zusätzliches Achievement. Die Story solltet ihr dabei in etwa vier bis fünf Stunden leicht beenden können, wenn ihr alle Achievements sammeln wollt, müsst ihr vermutlich mit 1-2 Stunden mehr rechnen. Die Spiellänge fühlt sich dadurch zum Glück nicht unnötig in die Länge gezogen an und Nomada Studio schafft es, genau die richtige Balance zu finden eine emotionale Geschichte zu erzählen, euch Zeit zu geben eine Beziehung zu Neva aufzubauen und euch trotzdem nicht zu oft durch immer wieder gleiche Passagen laufen zu lassen.

 

 

Denn inspiriert von verschiedenen Faktoren waren es bei der Entwicklung von Neva diverse Themen, die Einfluss auf die Handlung und das Setting selbst genommen haben. Da wäre zum einen die Corona-Pandemie, die vermutlich an niemandem spurlos vorüber gegangen ist. Aber auch Themen wie der Klimawandel, gesellschaftliche Unruhen und die Beziehung zu den eigenen Kindern hatte maßgeblich Einfluss auf die Entwicklung des Spiels. Vor allem die emotionale Bindung, die man im Handlungsverlauf zu Neva aufbaut, während man sieht wie das Wolfswesen langsam erwachsener wird und man als Spieler*in bei gefühlt jedem wichtigen Schritt dabei ist, erzeugt eine besonders starke Nähe nicht nur zu den Charakteren, sondern auch der Welt, in der diese sich befinden. Solltet ihr euch genau auf diesen Story-Aspekt fokussieren wollen, gibt es hierzu auch einen speziellen Story-Modus in den Schwierigkeits-Einstellungen, in dem ihr euch keine Sorgen un eure HP oder andere Gefahren machen müsst.

Alba und Neva springen über schwebende Steine in Neva von Nomada Studio und Devolver Digital
Ich Steine, du Steine.

Der Grund, warum Neva für mich aber so richtig Klick gemacht hat, ist die Optik des Titels. Wer GRIS gespielt oder zumindest einmal Screenshots davon gesehen hat, weiß, dass das Spanische Studio ihr künstlerisches Handwerk versteht, mit Neva setzen sie aber definitiv noch mal einen drauf. Die verschiedenen Gebiete sehen allesamt unglaublich schön aus und immer wieder musste ich kurz innehalten, um die Welt auf mich wirken zu lassen. Einige der Szenen könnten einfach direkt Wallpaper oder ausgedruckte Bilder sein, die man sich an die Wand hängt, so schön gezeichnet wie alles ist. Durch den eingebauten Parallax-Effekt kommt durch die verschiedenen Ebenen zusätzlich Tiefe in die Spielwelt und sie fühlt sich dadurch noch lebendiger an. Untermalt wird das alles von einem atmosphärischen Orchester-Soundtrack, der in den richtigen Momenten auch mal etwas schneller und energiegeladener wird. Man merkt auch hier, dass das Studio auf jeden Fall Zeit hatte ihren Debüt-Titel noch einmal ausgiebig zu studieren und die Aspekte zu perfektionieren, die schon GRIS zu etwas Besonderem gemacht hatten.

"Neva wirkt wie ein perfekt inszenierter Animations-Film, den man zufällig auch spielen kann, nur eben ohne dabei das Gameplay zu sehr aus dem Fokus zu verlieren."

Als angekündigt wurde, dass Devolver Digital nach GRIS auch das nächste Spiel von Nomada Studio publishen wird, habe ich mich direkt drauf gefreut. Schon der Debüt-Titel hatte mich auf eine emotionale Reise mitgenommen und nur hier und da im Gameplay ein paar Schwächen gezeigt. Bei ihrem neuesten Spiel merkt man aber an jedem Punkt, dass hier versucht wurde sich selbst zu übertreffen und im Alltag erlebte Geschehnisse ins Spiel und die Welt einzubauen, ohne dabei Abstriche beim Artdesign zu machen. Neva wirkt wie ein perfekt inszenierter Animations-Film, den man zufällig auch spielen kann, nur eben ohne dabei das Gameplay zu sehr aus dem Fokus zu verlieren. Die Platforming-Passagen und Kämpfe halten sich perfekt die Waage und mich beide gut unterhalten, während die Geschichte mich vom Anfang bis zum Ende auf eine emotionale Reise geschickt hat. Wer eine gute Zeit mit GRIS hatte, macht mit Neva also definitiv nichts falsch, aber ich empfehle auch allen anderen da draußen mal zumindest einen Blick auf dieses wunderschöne Spiel zu werfen und hoffe, dass das nicht das letzten Mal war, dass wir von Nomada Studio gehört haben.

Wertung zu Neva von Nomada Studio und Devolver Digital
4,5 von 5 Albas.