Von Yvonne
Nachdem im September 2018 die Reise der beiden Brüder, Sean und Daniel, in Life Is Strange 2 begann, fand das 5-Episoden-Abenteuer nun Anfang Dezember 2019 ein Ende. Die Monate der Wartezeit zwischen den Episoden schien schier ewig und ließen den Hype um das Spiel gefühlt recht schnell abebben. Umso besser also, dass nun etwas mehr als 1 Jahr nach Erscheinen der ersten Episode, alle 5 Teile im Xbox Game Pass vorhanden sind, bereit verschlungen zu werden! Für alle, die kein Game Pass-Abo haben, gibt’s das Spiel aber auch für knapp 40€ als Standard-Edition zu kaufen, oder direkt im Square Enix-Shop für ein paar Euro mehr, in einer wunderschönen Sammeledition, inklusive Figuren, Soundtrack et cetera pp.
Kurz zusammengefasst worum es überhaupt geht: Seattle. Nach einem schrecklichen Schicksalsschlag befinden sich Sean und Daniel Diaz auf der Flucht. Die beiden Brüder durchqueren das Land, mit dem Ziel Puerto Lobos in Mexiko zu erreichen. Im Fokus des Spiels steht die Beziehung der beiden Brüder und deren Charakterentwicklung, besonders aber die des kleinen Daniel. Denn jetzt wo die beiden Jungs auf sich allein gestellt sind, übernimmt Sean quasi die Erziehung seines kleinen Bruders, was nicht immer einfach ist, da Daniel übernatürliche Kräfte hat. Auf der Durchreise treffen die beiden Jungs auf neue Freunde und (zumindest für uns) alte Bekannte. So ist Life Is Strange 2 zwar keine direkte Fortsetzung von Life Is Strange und Before The Storm, hält aber für aufmerksame Spieler das ein oder andere Schmankerl bezüglich der Vorgängertitel bereit. Außerdem trifft man, wie angekündigt, innerhalb der Geschichte auf die Protagonisten aus The Awesome Adventures Of Captain Spirit, der im Vorfeld zu Life Is Strange 2 erschienenen Einführungsgeschichte. Es heißt also: Augen offen halten und erkunden was das Zeug hält!
Das gilt allerdings nicht nur im Bezug auf alles, was die Story zu bieten hat, sondern auch hinsichtlich der zu findenden Collectibles. Life Is Strange 2 bietet einiges an Suchspaß, sofern man sich denn für sowas begeistert. In Sean's Rucksack findet man Anhaltspunkte, die einem helfen sollen, die teilweise wirklich sehr gut in den verschiedenen Spielabschnitten versteckten Sammelobjekte zu finden. Diese können dann z.B. als Anhänger an der Tasche angebracht werden. Einige Collectibles kann man nur finden, wenn vorher bestimmte Handlungen korrekt durchgeführt wurden. Außerdem hat Sean eine große Leidenschaft: Das Zeichnen. Über den Zeitraum der Reise füllt er akribisch sein Notebook mit Skizzen und Gedanken, so dass man aufmerksam Ausschau nach Möglichkeiten zur Anfertigung von großen Zeichnungen halten sollte. Alles in Allem ist das Sammelsystem also durchaus anspruchsvoller, als bei den Vorgängertiteln. Findet man die Objekte nicht auf Anhieb, können diese, wie immer, nachträglich in einem Collectible Mode gesucht werden, werden dann aber im Hauptspiel auch dementsprechend gekennzeichnet und können nicht ausgerüstet werden.
Fast jede Episode spielt in einem anderen Umfeld, was das Spiel insgesamt sehr abwechslungsreich macht. Allerdings sind die häufigen Szenarienwechsel auch meist mit erheblichen Zeitsprüngen verbunden, so das Nebencharaktere die unseren Weg kreuzen, für uns auch meist genau das bleiben: Nebencharaktere. Eine tatsächliche Bindung aufzubauen ist unter den gegebenen Umständen durchaus schwierig, weil die einzige Konstante im Spiel, für uns, die beiden Brüder sind. Es macht Sinn, ist aber auch irgendwie schade. Gefühlt jedoch ständig präsent in Life Is Strange 2 ist allerdings die aktuelle Gesellschaftsproblematik. Themen wie Rassismus, Polizeigewalt und Fanatismus begleiten uns auf unserer Reise, welche in ihrem Showdown an der Grenze zu Mexiko, vor der großen trump'schen Mauer, ihr Ende findet. In der heutigen Zeit kann einfach nicht genug auf diese Problematiken aufmerksam gemacht werden und das Medium Videospiel bietet meiner Meinung nach die perfekte Vorraussetzung dafür. Spieler*innen finden sich in Situationen wieder, die für sie vielleicht außergewöhnlich sind, mit denen andere Menschen aber tagtäglich konfrontiert werden und müssen nun selbst entscheiden, wie sie handeln. Rebellieren und etwas riskieren? Sich zur Wehr setzen und sich im schlimmsten Fall selbst in Gefahr bringen? Sich klein machen lassen? Andere unterstützen oder wegschauen? Life Is Strange 2 regt in diesem Punkt in meinen Augen sehr zum Nachdenken an und verleit der gesamten Story dadurch zusätzlich nochmal Tiefe.
Wie immer kann am Ende einer Episode verfolgt werden, wie andere Spieler sich an den unterschiedlichen Entscheidungspunkten verhalten haben. Teilweise gab es drei oder vier Möglichkeiten, wie eine Situation hätte gehandelt werden können und nicht nur „Hop oder Top“. Aber auch hier gilt: Bestimmte Handlungsstränge werden nur getriggert, wenn eine entsprechende Entscheidung vorab getroffen wurde und so stellte ich immer wieder fest, das Manches in meinem ersten Durchgang am Ende gar nicht zur Auswahl stand. Hat man sich bis zur Grenze durchgekämpft, bietet die Story insgesamt 7 verschiedene Enden, die, je nachdem wie man Daniel im Laufe der Zeit charakterlich „geformt“ hat, unterschiedlich ablaufen. Das ist im Vergleich zu den Vorgängerspielen meiner Meinung nach eine tolle Entwicklung, da es so einfach viel mehr Spielraum gibt und die Entscheidungen insgesamt, wirklich Gewicht zu haben scheinen. Nachdem ich mir alle Enden auf YouTube angeschaut habe, muss ich aber sagen, dass es für mich tatsächlich nur ein wirklich zufriedenstellendes Ende gibt – und das habe ich nicht bekommen! Trotzdem war es interessant zu sehen, was bei meinem Balanceakt aus „Ich will das Beste für meinen Bruder“ und „Ich bin auch nur ein Teenager“ herausgekommen ist.
Life Is Strange 2 hat in meinen Augen durchaus Wiederspielwert und lädt mit seinen ca. 15 Stunden dazu ein, gerne noch eine weitere Runde zu drehen, um zu sehen, was möglich ist. Warum ich hier insgesamt nicht großartig auf die Story eingegangen bist ist sicher jedem klar. Das Spiel lebt schließlich genau davon! Wenn man mich jetzt aber fragt: „Kommt Life Is Strange 2 für dich an den ersten Teil und Before The Storm ran?“, sage ich: Eher nein. Emotional hat mich die neue Geschichte leider einfach nicht so packen können wie die Vorgänger es taten. Das liegt aber hauptsächlich daran, dass man, wie oben bereits erwähnt, wenig andere Beziehungen aufbauen kann, außer eben der zu Daniel und Sean. Es hält einen nichts. Man fühlt sich, wie auf der Durchreise - was man ja quasi auch ist... Dazu kommt noch, dass ich Daniel sehr häufig als anstrengend empfand und er mich sauer gemacht hat. Aber andererseits ist er unser kleiner Bruder, also...muss das wohl so sein...I guess? Wahrscheinlich ist das Setting am Ende einfach Geschmackssache. Mir persönlich sagt Life Is Strange einfach mehr zu. Teil 2 ist anders, aber trotzdem sehr spielenswert!