Lies of P

   Von Miggi

Titelbild zu Lies of P von Neowiz Games und Round8 Studio

Dass der September ein wahnsinnig absurder Monat in Punkto Videospielen ist, muss ich vermutlich niemandem mehr erzählen. Alleine mit Starfield und Cyberpunk: Phantom Liberty kommen zwei heiß ersehnte Titel auf uns zu, zu denen ihr bei uns noch jeweils zwei Podcast-Folgen erwarten dürft. Und dass das den ganzen Winter über nicht besser wird und auch der Oktober und seine Folgemonate nicht nachlassen, das habt ihr bestimmt auch schon am Schirm. 2023 ist generell ein Jahr voller Kracher, in dem das ein oder andere Spiel vermutlich viel zu kurz kommt, das in anderen Jahren einiges hätte mitzureden gehabt in der Diskussion, was denn das Spiel des Jahres am Ende sein wird. Und wenn man dem Hype im Vorfeld glauben schenken mag, gehört dazu auch das Soulslike Lies of P von den Koreanischen Entwickler*innen von Round8 Studio. Die Demo im Vorfeld hatte mich schon leicht angefixt, so dass ich einfach nicht anders konnte, als das Spiel zwischen den beiden Podcast-Spielen noch irgendwie unterzubringen.

Lies of P nimmt Carlo Collodis Roman Pinocchio als lose Vorlage und eigentlich nicht mal das. Wenn ich lose sage, dann meine ich das nämlich auch wirklich so: im Grunde leiht sich das Spiel lediglich ein paar Figuren und Motive des Romans und setzt diese in eine düstere und bedrohliche Welt, die nicht mehr wirklich viel mit der Buch-Vorlage zu tun haben. Stattdessen stellt das Spiel im gesamten Verlauf immer wieder Fragen über Menschlichkeit, künstliche Intelligenz, Gefühle und das Zusammenleben von Mensch & Maschine. Verpackt wird das ganze in die Geschichte der Stadt Krat, in der die Puppen angefangen haben auf ihre menschlichen Artgenossen loszugehen während gleichzeitig eine Krankheit namens Petrification Disease wütet, die Menschen erst erblinden lässt und sie dann versteinert. In dieser mehr als unwirtlichen Welt wacht ihr als P(inocchio) auf und müsst erst mal den guten alten Geppetto finden, um die Puppen wieder zur Vernunft zu bringen. Dass das nicht ganz so einfach werden wird, sollte einem alleine beim Genre allerdings schon klar sein.

Eine Polizei-Puppe hält Pinocchio fest in Lies of P von Neowiz Games und Round8 Studio
Bei ACAB ist speziell diese Puppe DEFINITIV mitgemeint!

Die allererste Frage, die sich viele From Software-Ultras schon sehr weit vor Release gestellt haben, ist zum einen natürlich die nach dem Schwierigkeitsgrad, aber noch viel wichtiger auch die, ob das Spiel das klassische Soulsborne-Gefühl angemessen ins eigene Gameplay übertragen kann. Und hier kann ich direkt Entwarnung geben - Lies of P spielt sich wahnsinnig gut und steht den alten Hasen in nichts wirklich nach. Vor allem die Vergleiche zu Bloodborne wurden vor Release oft rausgekramt, was dem Spiel aber meiner Meinung überhaupt nicht gerecht wird. Klar merkt man an vielen Ecken und bei einigen Entscheidungen die Inspiration und Ideen, aus denen Lies of P schöpfen konnte. Ich finde aber, dass es dabei keine dreiste Kopie ist oder sich zu sehr an eine vorgegebene Formel hält. Im Gameplay steckt viel Frisches, Ideen, die ich bisher so in keinem Soulslike gesehen habe und gleichzeitig ist die Steuerung weitaus smoother, als z.B. die von einem Dark Souls. Über schmale Balken weit in der Luft balancieren, während einen Gegner angreifen, war in keinem Soulslike bisher so frustfrei, wie hier.

 

Aber kommen wir mal noch kurz zurück zu dem, was dann doch gleich ist. Damit niemand hier behaupten kann, das hätten wir außer Acht gelassen: in der Haut bzw. dem Holz von Pinocchio kämpft ihr euch durch dunkle Gebiete voller Bedrohungen und Feinde, die schwerer und gefährlicher werden, je weiter ihr in der Story kommt. Zwischendurch findet ihr immer wieder Stargazer - die Bonfires von Lies of P - an denen ihr euch ausruhen und zu denen ihr später auch schnellreisen könnt. Außerdem ladet ihr hier auch eure Pulszellen auf, die ihr benötigt, um euch zu heilen. Um euch weiter aufzuleveln sammelt ihr Ergo von erledigten Gegnern oder Items, die ihr in der Welt findet und wie viel ihr davon braucht ändert sich, je nachdem wie hoch euer Level ist. Ihr könnt Amulette finden, die euch Vorteile bringen und eure Stats steigern, eure Waffen aufbessern und auch eure Rüstungswerte erhöhen. Außerdem gibt es verschiedene Kostüme, NPCs die kryptische Missionen für euch bereithalten und einen Hub-Bereich, diesmal in einem Hotel. Gut, hätten wir das abgehakt. Dann kommen wir doch jetzt lieber zu dem, was Lies of P aus der Masse herausstechen lässt.

Die Black Rabbit Brotherhood aus Lies of P von Neowiz Games und Round8 Studio
"Ich sage immer die Wahrheit. Selbst wenn ich lüge!" - Tony Montana, 1983

Nachdem ihr in einem verlassenen Zug aufwacht, könnt ihr euch anfangs zwischen drei Startwaffen entscheiden - ein Schwert, das eine gute Balance bildet, eines das mehr auf Beweglichkeit geht und dafür weniger Schaden macht und ein Großschwert, mit dem ihr zwar kräftig zuhaut, dafür aber nicht ganz so flink seid. Damit kämpft ihr euch durch das Startgebiet, trefft schnell auf einen Mini-Boss und nach dem ersten Stargazer auch recht flott auf den ersten Boss. Dabei fällt euch vermutlich irgendwann auf, dass sich eure Waffe mit der Zeit abnutzt und ihr immer wieder ein Auge darauf haben müsst und diese mit einem Schleifstein wieder schärfen müsst. Dieser ist in euren maschinellen Arm integriert und kann jederzeit benutzt werden, ohne verbraucht zu werden. Und darauf solltet ihr auch wirklich aufpassen - nicht nur, dass die Waffe immer weniger Schaden macht, ist die Haltbarkeit eurer Waffe nämlich erst mal komplett aufgebraucht, zerbricht sie und kann nicht wieder repariert werden. Dann müsst ihr euch eine neue Waffe kaufen oder zusammenbauen. Die Haltbarkeit sinkt aber nicht nur durch Angriffe, sondern auch durchs Blocken, außer ihr schafft es perfekt zu parieren. Blockt ihr regulär, wird euch vorübergehend ein kleiner Teil der HP abgezogen, die ihr zurückerhalten könnt, wenn ihr den Gegner schnell angreift. Alle Gegner haben außerdem eine versteckte Stagger-Leiste: schafft ihr es, diese auf Null zu setzen, könnt ihr euer Gegenüber mit einem schweren Angriff stunnen und eine Spezial-Attacke folgen lassen. Das geht sowohl bei regulären Gegnern, als auch bei Bossfights.

 

Aber kommen wir noch mal kurz zurück zu den Waffen bzw. dem Equipment. Bis auf ein paar spezielle Items bestehen nämlich alle Waffen im Spiel jeweils aus einem Aufsatz und einem Griff, die ihr beliebig kombinieren könnt. Daraus entsteht eine riesig große Varianz an Waffen und vor allem könnt ihr dadurch euren Spielstil entsprechend eure Lieblings-Waffe einfach selbst basteln. Wenn ihr z.B. zwar den Säure-Effekt der Klinge richtig gut findet, diese aber zu groß ist durch den Doppelhand-Griff, versucht doch einfach mal sie an einen Dolchgriff dranzumachen. Gleichzeitig kriegt ihr später spezielle Schleifsteine, die eurer Waffe vorübergehend Elementarschaden spendieren, aber immer nur ein Mal benutzt werden können, bis ihr wieder an einem Stargazer gerastet habt. Ergänzend habt ihr außerdem im weiteren Spielverlauf die Möglichkeit einen von Acht verschiedenen Armen auszurüsten und aufzubessern, die euch im Kampf den entscheidenden Vorteil bringen können. Ich habe mich hier für den Elektro-Arm entschieden, der vor allem Puppen richtig gut Schaden macht, es gibt aber auch einen Flammenwerfer, ein Schild, einen Minenwerfer und mehr.

Ein Monster greift Pinocchio an in Lies of P von Neowiz Games und Round8 Studio
Dodge or Die.

Natürlich darf man nicht außer Acht lassen, dass Lies of P auch echt verdammt hübsch aussieht. Die Lovecraft-, Horror- und Bloodborne-Einflüsse lassen sich nicht verleugnen, das Spiel schafft es aber durch sein Charakter-Design und die Welt mit ihren Motiven nicht nur eine schöne, sondern auch eine in sich stimmige Welt zu erschaffen. Die Gegner wirken einerseits bedrohlich, andererseits baut man zu verschiedenen NPCs eine richtige Bindung auf und zumindest mich hat das Ganze komplett in den Bann gezogen. Das einzige Manko, das mir aufgefallen ist, war das Inventar bzw. das Switchen zwischen Inventar und Spiel. Sobald man nämlich sein Inventar schließt dauert es sichtbar lange, bis in der Welt wieder alle Texturen geladen sind und zwischendurch sieht alles sehr matschig aus. Das gleiche gilt auch für Videosequenzen, wo bei jedem Kamera-Schnitt kurz die Texturen in Gesichtern und Umgebung nachladen müssen, was einen dann doch kurz aus der Sequenz reißt. Das gleiche Problem ist mir schon bei Like A Dragon: Ishin! aufgefallen und ich vermute, dass es an der Unreal Engine liegt. Schön anzusehen und immersiv ist es auf jeden Fall nicht. Was dafür aber richtig gut funktioniert ist der Soundtrack. Dieser unterstützt das Spielgeschehen perfekt und übers Spiel verteilt könnt ihr auch verschiedene Schallplatten finden, die ihr dann im Hub anhören könnt. Und ich sag es mal so - der Song "Feel" ist einer der schönsten Songs, die ich seit langem gehört habe und ich hätte ihn gerne nicht nur als Soundtrack im Hub, sondern auch in meinem Leben.

"Lies of P ist mehr als nur ein Klon der From Software-Formel und bietet neben frischen Ideen im Gameplay einen harten Schwierigkeitsgrad, den ich jede Sekunde des Spiels über genossen habe."

Nach der gratis Demo, war ich noch nicht zu 100% sicher, wie gut sich Lies of P auf Dauer halten würde. Nachdem mich das Spiel aber nicht nur mit seinem Worldbuilding, sondern auch den verschiedenen Gameplay-Elementen immer weiter in den Sumpf von Krat gezogen hat, bin ich irgendwann nach 24 Stunden Spielzeit vor dem finalen Boss gestanden und war einfach nur wahnsinnig glücklich mit dem Spiel. Trotz kleiner Grafik-Stolperer, die zum Glück das Spielen selbst nicht wirklich negativ beeinflussen liefert die umgedachte Pinocchio-Story nicht nur visuell ab, sondern kann sich auch sonst gegen die ganz großen Soulsbornes da draußen behaupten. Lies of P ist mehr als nur ein Klon der FromSoftware-Formel und bietet neben frischen Ideen im Gameplay einen harten Schwierigkeitsgrad, den ich jede Sekunde des Spiels über genossen habe. Da haben die Südkoreanischen Entwickler*innen von Neowiz Games und Round8 Studio wirklich fast alles richtig gemacht. Besonders die Bossfights sind hier nämlich echt heftig und obwohl man zweite Phasen und Moves teilweise leicht vorhersehen kann, hat es mir einfach sehr viel Spaß gemacht und vor allem eines hat gestimmt: Dieser Moment, wenn man einen Boss immer wieder probiert und es dann plötzlich "Klick!" macht, bis man beim letzten Try plötzlich fast alle Attacken mit Leichtigkeit pariert, der Boss liegt und man laut "JAAA!" schreit. Im Grunde ist das für mich das beste Merkmal, ob ein Soulslike funktioniert oder eben nicht. Und Lies of P funktioniert. Aber sowas von.

Wertung zu Lies of P von Neowiz Games und Round8 Studio
4,5 von 5 Pulszellen.