Kingdom Come: Deliverance II

   Von Miggi

Titelbild zu Kingdom Come: Deliverance II von Warhorse Studios, Deep Silver und Plaion

Wenn wir an RPGs mit mitterlalterlichem Ritter-Setting denken, schwingt vermutlich bei uns allen direkt der Gedanke an Magie, eine fiktive Welt voll mit Goblins, Drachen und Monstern und vermutlich noch weitere Fantasy-Elemente mit. Und so richtig verübeln kann einem das auch niemand, denn die meisten RPGs bedienen genau diese Genre-Schublade. Warhorse Studios aus Prag hatte da aber schon 2018 mit Kingdom Come: Deliverance ein gutes Argument auf den Tisch gebracht, warum man nicht immer zwingend Fantasy-Elemente braucht, um Spieler*innen ordentlich zu fesseln. Damals gab es rund um die Entwicklung und Warhorse-Gründer Daniel Vávra noch einige Diskussionen, die im Vorfeld zum Nachfolger nun großteils in Vergessenheit gerieten und nur kurz wieder (im positiven) aufflammten als er auf Twitter einen User als "Nazi Shithead" bezeichnete. Auf der gamescom 2024 durfte ich schon in einer kurzen Demo-Session einen Teil des Spiels erleben und war dadurch wirklich gespannt auf den Release. Schon in der kurzen Zeit wirkte die Spielwelt noch einen Ticken überzeugender, die Story ausgeklügelter und technisch alles etwas smoother als zu Release vom ersten Teil.

Die Geschichte von Kingdom Come: Deliverance II knüpft dabei direkt an die des Vorgängers an und lässt euch im Jahr 1403 mit Henry bzw. Heinrich von Skalitz als Teil der Gefolgschaft von Hans von Capon von Rattay nach Trosky reisen, um eine wichtige Nachricht zu überbringen. Auf dem Weg dorthin wird die Reisegruppe allerdings von Banditen überfallen und außer Heinrich und Hans kann niemand dem Angriff entkommen. Die beiden lassen auf ihrer Flucht zwangsweise alle Habseligkeiten zurück und haben somit auch keinen Beweis mehr über ihre Identität bzw. im Fall von Hans ihres Adelsstandes. Eins führt zum anderen, die beiden werden in Trosky abgewiesen, starten eine Kneipenschlägerei, landen am Pranger und zerstreiten sich zudem untereinander. Und so müsst ihr als Heinrich wieder einmal von ganz vorne anfangen und versuchen irgendwie eure eigentliche Aufgabe zu erfüllen und alles wieder ins Lot zu bringen. Die Handlung ist im Nachfolger dabei unterhaltsam geschrieben, gespickt mit einigen interessanten Twists, auch diverse Nebenquests bieten teilweise tiefgehende Story-Lines und Character Arcs und es hat mir wirklich viel Spaß gemacht mich als Heinrich in die Spielwelt fallen zu lassen.

Heinrich von Skalitz reitet mit Hans von Capon und Gefolgschaft durch einen Wald in Kingdom Come: Deliverance II von Warhorse Studios, Deep Silver und Plaion
Look at our Horses! Our horses are amazing!

Natürlich muss man sich in die komplexen Spielmechaniken aber erst einmal (wieder) einfinden. Und ich muss zugeben, dass mir das - obwohl ich das Original damals ausführlich gespielt habe - im ersten Moment gar nicht so leicht gefallen ist. Kingdom Come: Deliverance II versucht zwar mit einem gefühlt nie enden wollenden Vorrat an Tutorials alles so gut es geht zu erklären, trotzdem musste ich mir einen Großteil der Funktionen und Gameplay-Elemente erst einmal wieder recht mühsam aneignen. Ein Spiel für Zwischendurch oder casual Reinspielen ist KCD 2 also definitiv nicht. Wenn man sich aber auf die verschiedenen Mechaniken einlässt und dem Spiel die Zeit widmet, die es braucht, kommt man, wie auch in anderen Spielen, wie etwa vor kurzem S.T.A.L.K.E.R. 2: Heart of Chornobyl, über einen Punkt hinaus, an dem man das Gefühl hat, das Spiel selbst und seine Kniffe bezwungen zu haben. Vom Bordstein zur Skyline, nur eben nicht so modern, eher vom Pranger in den Burgfried oder so.

 

Eine der größten Herausforderungen ist anfangs auf jeden Fall eure Ausrüstung und damit einhergehend auch die wie bereit oder eben genau nicht bereit Heinrich für Kämpfe ist. Und davon gibt es einige, den überall lauern euch Banditen am Wegrand, Wilderer in den Wäldern oder auch einfach wilde Tiere auf, die ihr nur mit Kampfgeschick in die Flucht schlagen könnt. Habt ihr dafür nicht die richtige Ausrüstung, wird jeder Kampf gegen Wölfe oder eine Gruppe aus mehr als 2 Personen direkt eine Frage nach Leben und Tod, die meist im Tod endet. Und habt ihr dann nicht gespeichert, was ohne eigenes Bett, Geld oder Speicherschnaps gar nicht so einfach ist, dürft ihr schnell mal eine nicht ganz so kurze Spielzeit erneut durchlaufen, weil die automatischen Speicherungen vor allem Anfangs recht weit auseinander liegen. Nachdem ich hier den harten Weg gegangen bin und erst einmal wie in anderen RPGs Side-Quests erledigen wollte, kann ich euch nur empfehlen: nehmt zumindest ganz am Anfang einmal den Weg der Hauptquest zum Schmied, dort kommt ihr dann an ein eigenes Bett und auch Ausrüstung, was euer Leben wesentlich einfacher macht.

Heinrich macht seine Schusswaffe bereit in Kingdom Come: Deliverance II von Warhorse Studios, Deep Silver und Plaion
Never bring a Knüppel to a Gunfight. Auch nicht in 1403.

Aber auch mit der besten Ausrüstung der (Spiel-)Welt, kann jeder im ersten Moment noch so unscheinbar wirkende Kampf für euch direkt gefährlich werden, wenn ihr euch mit dem Kampfsystem nicht vertraut macht. Dieses wurde im Vergleich zum Vorgänger noch einmal etwas verfeinert, ist aber im Grunde recht ähnlich: in Nahkampfduellen mit euren Waffen habt ihr insgesamt 4 Richtungen aus denen ihr angegriffen werden und aus denen ihr selbst angreifen könnt. Wollt ihr einen Schlag abblocken erfordert dies das richtige Timing und kann mit einem Konterschlag ergänzt werden. Dabei müsst ihr aber stets eure Ausdauer im Auge behalten, damit ihr nicht plötzlich ohne Kraft dasteht und aufs Maul bekommt. Und obwohl ich gerade gesagt habe, macht am besten erst einmal die Hauptquest, hier ein Tipp: um den besonders starken Meisterschlag freizuschalten solltet ihr relativ früh die Nebenquest mit Meister Tomcat in Angriff nehmen. Dieser bringt euch neben praktischen Kombos nämlich auch den Meisterschlag bei, mit dem ihr Angriffe eurer Gegner nicht nur blocken, sondern mit einem treffsicheren Konter beantworten könnt. Und hands down - dieser Move hat mich durch die meisten Kämpfe gebracht.

 

In Kingdom Come: Deliverance II wir natürlich aber nicht nur gekämpft bzw. habe ich sogar meistens versucht Kämpfen aktiv aus dem Weg zu gehen. Dafür gibt es meistens mehrere Lösungsansätze. Ihr könnt eure Questziele heimlich erledigen, so dass eure Gegner euch gar nicht erst wahrnehmen. Das erfordert aber nicht nur viel Geschickt im Schleichen oder Fingerfertigkeit im Taschendiebstahl, sondern auch das richtige Werkzeug wie etwa Dietriche, die schnell einmal kaputt gehen können. Für beides gibt es außerdem jeweils ein kleines Minispiel, das ihr bestehen müsst, um nicht beim Klauen erwischt zu werden. Seid ihr dafür eher auf der diplomatischen Seiten, könnt ihr viele Konfrontationen auch durch Verhandlungsgeschick lösen. Achtet dabei nur auf jeden Fall darauf, dass eure persönlichen Werte stimmen: schon ein paar Blutflecken auf eurer Kleidung oder euer Geruch, wenn ihr euch zu lange nicht gewaschen habt, ziehen euer Charisma direkt runter und lassen Skill-Checks in Gesprächen, die auf verschiedenen Persönlichkeitswerten von Heinrich basieren direkt schwerer werden.

Eine Ansicht einer Taverne im Gebiet Trosky in Kingdom Come: Deliverance II von Warhorse Studios, Deep Silver und Plaion
In Trosky geht es noch eher ländlich zu.

Um mit der Zeit auch schwerere Gespräche zu meistern, Schlösser zu knacken und aber auch in Kämpfen die Oberhand zu gewinnen, levelt ihr Heinrich im Spielverlauf natürlich aber auch auf. Das bedeutet nicht, dass er zur übermächtigen Kampf- oder Diplomatie-Maschine wird - ihr spielt hier immer noch einen "normalen" Bürger in einer Welt, in der der Adel das Sagen hat und euch auch Muskeln nicht vor 5 Mann mit Schwertern schützen - aber es macht euch die Welt zumindest etwas erträglicher. Für alles was ihr tut, ob ihr nun mit viel Gewicht bepackt durch die Welt lauft, viele Bücher lest, Eintopf nach Eintopf kocht oder auch einfach viel mit einem Pferd durch die Welt reitet, erhaltet ihr Erfahrungspunkte in der jeweiligen Kategorie und gleichzeitig auch global für Heinrich. Habt ihr genug Punkte gesammelt, könnt ihr euch in den jeweiligen Kategorien verschiedene Buffs aussuchen, die ihr auf euren Spielstil abstimmen könnt. In dieses System habe ich mich zum Glück recht schnell eingefunden und konnte Heinrich so immer stärker und versierter werden lassen.

 

Einschüchtern können einen im ersten Moment aber nicht nur die verschiedenen Mechaniken des Spiels, sondern auch die Welt selbst. Kingdom Come: Deliverance II ist diesmal aufgeteilt in 2 größere Maps, die ihr erst einmal selbst aufdecken müsst und vor allem am Anfang ist Schnellreisen nicht nur kaum möglich, sondern auch keine gute Idee, da ihr jedes Mal das Risiko eingeht von Banditen oder Wölfen überfallen zu werden. Habt ihr euch aber erst einmal zurecht gefunden, steht euch eine etwa doppelt so große Welt wie im ersten Teil offen, in der es neben Dörfern und Siedlungen allerhand zu entdecken gibt. Auf eurer Karte werden dabei die verschiedenen Quests, aber auch wichtige Orte markiert, sobald ihr einmal da wart und die Welt fühlt sich wirklich realistisch an, egal ob im kleinen Dorf, oder der großen Stadt. Die NPCs gehen allesamt ihrem Tagesverlauf nach, Verhalten sich euch gegenüber je nach eurem Ansehen im Gebiet passend und man wird hier einfach komplett in den Bann der Spielwelt gesogen. Ich bin schon in Teil 1 richtig gerne durch die Spielwelt gestreunert und hatte im Nachfolger nur noch mehr Spaß durch Wälder zu streifen, mit dem Pferd neue Wege zu bereiten und mir langsam die Dörfer und Städte einzuprägen.

Eine Ansicht der Stadt Kuttenberg und ihrem Marktplatz in Kingdom Come: Deliverance II von Warhorse Studios, Deep Silver und Plaion
Aber es gibt auch Big City Life in Kuttenberg.

Wie auch schon der Vorgänger wurde Kingdom Come: Deliverance II wieder in der CryEngine entwickelt und kommt dabei nicht völlig ohne seine eigenen technischen Probleme. Es gibt zum einen diverse Questlines, die an manchen Stellen einfach verbuggt sind und entweder nicht abgeschlossen werden können, wenn ihr etwas unabsichtlich falsch macht, oder man einfach mal neu laden muss, um weiterzumachen. Manches davon verzeihe ich einem Spiel dieser Größe, ein paar Mal war es aber wirklich frustrierend. Dazu kommen dann noch teils auftretende Performance-Probleme in einzelnen Abschnitten. Vor allem bei größeren Schlachten ist das sehr auffällig gewesen, wie etwa bei der Verteidigung von Nabakov, bei der mehr Leute auf dem Screen agieren, als das Spiel zu dem Zeitpunkt FPS hat. Und das ist nicht so schwer, weil gefühlt waren das circa 20 (Frames per Second, nicht Personen). Und das schmerzt leider dann doch etwas, vor allem weil das restliche Spiel unfassbar schön aussieht, eigentlich auch mit Menschenmassen in z.B. Kuttenberg keine Performance-Probleme hatte und auch sonst technisch ordentlich läuft. Ich hoffe, dass das alles aber Dinge sind, die sich in Zukunft leicht patchen lassen, denn vor allem gegen Ende der Story wurden die Probleme immer mehr und auffälliger und es wäre schade, wenn das Spiel gegen Ende hier einfach einknickt. Denn wie gesagt: technisch und optisch ist es schon wirklich beachtlich, was Warhorse hier geschaffen hat.

"Kingdom Come: Deliverance II ist in allen Belangen ein mehr als würdiger Nachfolger, erzählt die Geschichte von Heinrich immersiv weiter und scheut dabei auch nicht vor kritischen Themen zurück und vor allem die Spielwelt kann Spieler*innen mit ihrem besonderen Charme so gut in ihren Bann ziehen, wie kaum ein anderes Spiel."

Ich glaube, dass man mit diesem Spiel sehr viel Spaß haben kann, insofern man bereit ist erst einmal ein bisschen in den Dreck zu fallen und sich mühsam die umfangreichen Mechaniken davon anzueignen. Im Grunde macht man hier als Spieler*in eine ähnliche Reise wie Heinrich durch und fühlt sich so dabei nicht komplett alleine gelassen. Das Kampfsystem ist noch mal einen Ticken besser als in Teil 1 ohne seine Seele zu verlieren und Quests mit verschiedenen Herangehensweisen lösen zu können, finde ich sowieso immer schön. Kingdom Come: Deliverance II ist in allen Belangen ein mehr als würdiger Nachfolger, erzählt die Geschichte von Heinrich immersiv weiter und scheut dabei auch nicht vor kritischen Themen zurück und vor allem die Spielwelt kann Spieler*innen mit ihrem besonderen Charme so gut in ihren Bann ziehen, wie kaum ein anderes Spiel. Technisch läuft nicht immer alles problemfrei und rund, was in Zukunft hoffentlich noch gepatched werden kann, aber auch so ist es mehr als beachtlich, was Warhorse Studios hier geschaffen hat. Und auch wenn nicht alles zu 100% historisch akkurat oder absolut realistisch ist, generiert das Spiel eine glaubhafte Welt und kommt dabei gut (quasi) ohne Fantasy-Elemente aus. Habt ihr euch erstmal reingefuchst, erwarten euch theoretisch mehr als 100 Stunden Spielspaß in einer Spielwelt, wie es sie kaum ein anderer Titel zu bieten hat, auch wenn das Spielkonzept selbst vermutlich nicht alle da draußen ansprechen wird.

Wertung zu Kingdom Come: Deliverance II von Warhorse Studios, Deep Silver und Plaion
4 von 5 Kötern. (Nein, das ist kein Disrespect an den Doggo, der heißt wirklich so.)