Von Miggi
Als Xbox & Bethesda Ende Januar ihre erste Developer_Direct Präsentation zeigten, gab es neben Infos zu Redfall, Forza Motorsport, ESO und Minecraft Legends, die auch schon im Vorfeld angekündigt waren, außerdem noch einen komplett frischen Trailer zu sehen, den niemand auf dem Zettel hatte. Tango Gameworks, das Studio von Resident Evil-Erfinder Shinji Mikami, der überraschend kurz nach Release seinen Rückzug aus ebendiesem bekannt gegeben hatte, zeigte ihr neuestes Spiel Hi-Fi Rush. Mikamis Vision war es von Anfang an, sein Studio zu einem Kreativ-Dojo für aufstrebende Talente zu machen und sich nicht nur auf Horror-Titel wie The Evil Within zu fokussieren. Und so startete eine Gruppe Entwickler*innen rund um Game Director John Johanas, parallel zu Ghostwire: Tokyo, mit der Entwicklung des Rythm Based Action Adventures, das direkt nach der Developer_Direct als Shadowdrop im Xbox Game Pass verfügbar war. Es sprach also absolut nichts dagegen das Spiel direkt zu installieren und zu starten. Naja gut, ich musste natürlich erst noch Persona 3 Portable beenden. Aber wie lang konnte das schon dauern, oder?
Zu Beginn des Spiels wird uns der 25-jährige Chai vorgestellt, dessen großer Traum es ist Rockstar zu werden. Dieser möchte am Testprogramm Project Armstrong der Firma Vandelay Technologies teilnehmen, um seinen beeinträchtigten rechten Arm durch eine Roboter-Prothese ersetzen zu lassen. Durch ein paar dumme Zufälle fällt dem CEO Kale Vandelay (gesprochen von Roger Craig Smith aka die Stimme von Sonic The Hedgehog!) der MP3-Player von Chai in die Hände, während Chai gerade für seine "Operation" fertig gemacht wird. Kale wirft den den Musikplayer weg, dieser fällt auf Chais Brust und wird ihm dadurch in die Brust eingesetzt. Wie Iron Man quasi, nur ohne coolen Reaktor. Von diesem Zeitpunkt an kann Chai eine musikalische Verbindung mit seiner Umwelt aufbauen und damit aus Schrott-Teilen eine Gitarre erschaffen. Und apropos Schrott - unser Protagonist wird durch dieses Missgeschick als Defekt gelabelt, was ihn zum gesuchten Verbrecher macht. So beginnt also sein und damit auch euer Abenteuer durch insgesamt 12 Missionen oder Tracks, wie sie das Spiel betitelt.
In jedem der Tracks müsst ihr es durch verschiedene Level-Abschnitte schaffen, während alles um euch herum sich zur Musik bewegt. Das ist allerdings nicht einfach nur ein nettes Gimmick, sondern auch hilfreich und sogar essentiell für euch. Denn nicht nur die Umwelt bewegt sich im Takt der Musik, wenn ihr das tut, erhaltet ihr Boni und im Kampf bessere Bewertungen. So könnt ihr bestimmte Kisten nur öffnen, wenn ihr den Takt trefft, müsst bei diversen Minispielen im Rythmus bleiben und bekommt für jede Bewegung, die ihr richtig ausführt visuell angezeigt, ob der Takt sitzt oder nicht. Zusätzlich zur Seite steht euch dabei euer Begleiter 808, eine Roboterkatze, die sich zu einem schwebender Orb transformieren und euch als Stütze behilflich sein kann. Wem das allerdings im Eifer des Gefechts und auch außerhalb zu schwer ist, kann sich zusätzlich noch ein Metronom aktivieren, das am unteren Bildschirmrand eingeblendet wird. Vor allem in den Kämpfen kann das im Takt bleiben nämlich ab und zu echt tricky sein.
Die Kämpfe in Hi-Fi Rush lassen sich finde ich am ehesten mit Spielen wie Devil May Cry vergleichen. Obwohl sie im Takt der Musik ablaufen, sind sie sehr schnell und intuitiv. Ihr habt eure Gitarre als Waffe, mit der ihr normale und schwere Attacken ausführen könnt, habt die Möglichkeit auszuweichen und lernt später auch gegnerische Attacken zu parieren. Schafft ihr es Kombos aneinander zu reihen und vor allem im Takt zu bleiben, bekommt ihr am Ende jedes Kampfes eine Wertung, die bis zum S-Rang gehen kann. Am Ende jedes Tracks werden dann eure Wertungen zusammengezählt und ihr erhaltet eine Gesamt-Bewertung. Aber keine Sorge: Wenn ihr es nicht schafft den Takt punktgenau zu treffen, greift Chai trotzdem an und im Endeffekt sinkt nur eure Takt-Wertung ein wenig. Ihr steht also nicht komplett hilflos da, wenn ihr musikalisch nicht ganz so zielsicher seid. Die Kämpfe sind auf jeden Fall wahnsinnig spaßig und an irgendeinem Punkt im Spiel kommt man zwangsläufig einfach in den Groove und führt mit einem Tunnelblick Parries, Angriffe und Ausweichrollen aus, als hätte man nie etwas anderes gemacht. Selten haben mir Kämpfe in Spielen so viel Spaß gemacht, wie hier.
Die Wertungen sind dabei nicht einfach nur nice to have, sondern sie bescheren euch auch zusätzlich noch je nachdem wie gut ihr am Ende seid mehr oder weniger In-Game Währung. Diese findet ihr neben diversen anderen Collectibles wie Wand-Graffitis auch verteilt in den Levels und könnt nach jedem Track oder teilweise auch in den Levels selbst Dinge damit kaufen. Dazu zählen neben passiven Boni auch Items, die eure Gesundheit und Spezial-Leiste erhöhen oder neue Kombos und Spezialattacken. Drückt ihr beide Sticks kann Chai nämlich besonders mächtige Attacken im Kampf einsetzen, von denen er aber immer nur eine Variante ausgerüstet haben kann. Achtet hier also darauf, welche Attacke eurem Spielstil entspricht und welche euch am meisten in die Karten spielt. Aber nicht nur Boni und Attacken für Chai lassen sich im Shop kaufen, ihr könnt auch euren Freund*innen stärkere und neue Attacken zukommen lassen.
Im Laufe der Story gesellen sich nämlich mehrere andere Charaktere an eure Seite, die ebenfalls ein Hühnchen mit Vanderlay zu rupfen haben. In den Tracks nutzt ihr diese, um Umgebungsrätsel zu lösen, die zum Glück nie sonderlich ausgefallen sind und so nie zu viel Tempo aus dem Spiel nehmen. Beispielsweise kann dann z.B. Peppermint, die ihr als erstes trefft, sich kurz zu euch teleportieren und mit ihrem Blaster auf bestimmte Buttons schießen. Das nützt euch aber nicht nur in den Jump & Run Passagen der Levels, sondern auch in den Kämpfen. Mit ihrem Blaster kann sie nämlich auch Energieschilde von Gegnern zerstören, die ihr ohne sie sonst nicht angreifen könnt. Eure Partner*innen könnt ihr jederzeit per Knopfdruck wechseln und am Ende müsst ihr das auch immer öfter tun, um durch die Levels und Kämpfe zu kommen.
Man kann natürlich aber nicht über Hi-Fi Rush sprechen, ohne den unfassbar guten Comic-Look des Spiels anzusprechen. Die immer wieder eingestreuten gezeichenten Comic-Szenen lassen sich dabei kaum von Szenen aus dem Spiel selbst unterscheiden und das Spiel löst damit für mich The Legend of Zelda: The Wind Waker als schönstes Cel Shading-Game aller Zeiten ab. Dazu kommt der wahnsinnig gute Soundtrack, der neben eigens für das Spiel komponierter Musik auch mit Bangern wie Lonely Boy von den Black Keys, Inazawa Chainsaw von Number Girl oder - mein absolutes Highlight - Invaders Must Die von The Prodigy aufwarten kann. Das Spiel hat übrigens auch einen integrierten Streamer*innen-Modus, bei dem ihr euch keine Sorgen um Copyright Strikes machen müsst. Abgerundet werden Look und Soundtrack durch unfassbar witzige Figuren und Dialoge, sowie flüssigem Gameplay. Hier greift einfach jedes Element perfekt ineinander.
"Hi-Fi Rush hat mich vom ersten Takt an mitgerissen und hat nie aufgehört besser zu werden: jedes Level, jeder Dialog, jede Szene und jeder Kampf haben noch mal eins draufgesetzt, bis es am Ende bombastisch ins Finale mündete."
Der Shadowdrop-Titel von Tango Gameworks kam für mich komplett unerwartet aus dem Nichts und hat mich von Anfang an in seinem Rythmus gefangen. Knapp 10 Stunden später saß ich immer noch im Beat wippend auf der Couch und war einfach nur glücklich darüber, was ich da gerade gespielt hatte. Hi-Fi Rush hat mich vom ersten Takt an mitgerissen und hat nie aufgehört besser zu werden: jedes Level, jeder Dialog, jede Szene und jeder Kampf haben noch mal eins draufgesetzt, bis es am Ende bombastisch ins Finale mündete. Was das japanische Studio hier geschaffen hat, ist einfach nur großartig und ich hoffe, dass viele Leute in den Genuss dieses Spiels kommen. Gleichzeitig zeigt es, wofür das ganze Game Pass-Modell gut ist, nämlich dass Studios sich nicht mehr die großen Sorgen um Partner, Werbedeals und Verkaufszahlen machen müssen, sondern sich einfach mal kreativ ausleben können. Hi-Fi Rush ist eine ganz besondere Perle und Mikamis Plan für Tango Gameworks als Talentschmiede scheint komplett aufzugehen. Ich bin jetzt schon gespannt, was uns als nächste aus dem Studio erwartet.