Von Miggi
Wenn es einen Titel gibt, den ich aber sowas von gar nicht auf meiner "Spiele, die ich dringend brauche und die realistischerweise erscheinen könnten" Bingo-Karte hatte, dann ist es Bomb Rush Cyberfunk. Wie aus dem Nichts tauchte plötzlich dieses Spiel auf, dass nicht nur auf den zweiten oder dritten Blick aussieht, als wäre es ein neues Jet Set Radio. Und wer mich kennt weiß, dass ich nicht nur die Spiele von Sega liebe, sondern auch die Konsolen bis heute bis auf den letzten Chip verteidige. Und da muss man beim Dreamcast nicht mal viel Argumente finden. Das war einfach eine richtig geile Konsole mit unfassbar gutem Line-Up. Crazy Taxi, Sonic Adventure 1 UND 2, Shenmue oder Resident Evil: Code Veronica lassen mich bis heute immer wieder an die Konsole von 1999 zurückkehren. Dass jetzt mit Bomb Rush Cyberfunk ein spiritueller Nachfolger zum Dreamcast-Klassiker Jet Set Radio erscheint, hat mich natürlich sofort aufhören lassen. Also ab in die wunderschöne Cel-Shading-Welt von New Amsterdam.
Die Story von Bomb Rush Cyberfunk - und an dieser Stelle einfach sehr großes Lob für den Titel des Spiels an das Niederländische Studio Team Reptile - ist genau so absurd, wie es ein Spiel dieser Art verdient hat. Obwohl ich anfangs dachte, dass sie eher nur Nebensache ist und in den Hintergrund rutscht, hat sie mich gegen Ende des Spiels doch mit ein paar Twists mehr begeistert, als ich dachte und ich war richtig gespannt auf das Finale. Aber zäumen wir das Pferd mal von hinten auf. Das Spiel startet mit unserem Protagonisten Faux im Gefängnis, nachdem er von der Polizei erwischt wurde. Dort wird er vom Lärm aufgeweckt, den ein Mithäftling bei seinem Ausbruch veranstaltet. Dieser stellt sich als Tryce vor und packt euch direkt ein, bei seinem Ausbruch, mit dem Ziel eine neue Crew in der Stadt New Amsterdam zu gründen. Während ihr aus dem Gefängnis flieht wird euch allerdings von einem mysteriösen Mann mit einer Schallplatte der Kopf abgeschnitten und als ihr aufwacht befindet sich dort wo vorher euer Kopf war ein Roboter-Replacement. Nicht das erste Spiel in dem meinem Protagonisten der Kopf abgetrennt wird, aber ich beschwer mich auch nicht. Und was macht man in so einer Situation? Richtig, erst mal die ganze Stadt mit Graffiti zusprühen und andere Crews battlen.
Wer Jet Set Radio damals gespielt oder zumindest einmal gesehen hat, weiß im Grunde genau, was einen in Bomb Rush Cyberfunk erwartet und ich glaube keine Review zum Spiel kann diesen Vergleich einfach ignorieren: ihr fahrt durch einzelne Areale, in denen ihr wilde Tricks und Kombos aneinander reiht und gleichzeitig eure Umgebung durch Graffiti verschönert, um eine größere Bekanntheit als rivalisierende Gangs zu erhalten. Die namensgebende Bomb Rush Crew besteht dabei aus eurem Protagonisten, eurem Retter und BMX-Fahrer Tryce und der Inline Skaterin Bel. Besonders am Spiel ist, dass ihr euch in den jeweiligen Abschnitten aber nicht nur aussuchen könnt, welchen Charakter der Crew ihr steuern wollt. Red, wie unser Protagonist nach seinem Kopf-Wechsel genannt wird, kann im Crew-Versteck nämlich jederzeit zwischen Inline Skates, Skateboard und BMX-Bike wechseln. Im Spielverlauf sammelt ihr dafür verschiedene Skins und könnt diese ganz nach Belieben durchswitchen.
Je weiter ihr spielt, desto größer wird auch eure Auswahl an Graffitis, die ihr in der Welt verteilen könnt. Diese werden in kleinen Mini-Spielen an die Wand oder teilweise auch an Gegner gemalt. Habt ihr einen passenden Spot gefunden, müsst ihr mit dem Controlstick einzelne Punkte auf dem Screen verbinden. Je nachdem in welcher Reihenfolge ihr die Punkte verbindet, entscheidet sich dann, welches Graffiti ihr am Ende auf die Wand malt. Die einzelnen Kombinationen könnt ihr jederzeit in eurem Handy aufrufen, das ihr per Tastendruck aktiviert. Dort habt ihr auch eine kleine Minimap, in der ihr seht, wo ihr als nächstes hinmüsst und könnt gleichzeitig In-Game Fotos machen, Nachrichten von euren Crew-Mitgliedern und anderen NPCs lesen oder auch die Musik wechseln. Was nicht ganz so geil gelungen ist und dafür aber auch nicht ganz so oft auftaucht, sind allerdings die kurzen Kampfsequenzen. Ihr könnt nämlich jederzeit von eurem Board, Bike oder Skates absteigen und mit den Tricktasten dann Kicks austeilen, um der Polizei, die euch dingfest machen will, aufs Maul zu hauen. Und sagen wir mal so - ich habe das Kämpfen einfach vermieden so gut ich konnte, weil es einen einfach aus dem Spielfluss reißt und fehl am Platz wirkt.
Aber nicht nur das Graffiti sprühen ist ein wichtiger Teil des Spiels - ganz im Stile von Tony Hawk's Pro Skater und Co., könnt ihr in Bomb Rush Cyberfunk absurd lange Trick-Kombos ausführen, um euren Punktezähler nach oben schießen zu lassen. Jede Kurve auf einer Rail und jeder neue Spot bringt euch dabei eine Multiplikator-Stufe mehr und am Ende ist man bei >500 Trick-Combos mit einem absurd hohen Multiplikator. Grinds und Manuals müsst ihr dabei nicht manuell ausbalancieren, könnt diese aber auch nicht ewig ausführen, um eure Kombo weiterlaufen zu lassen. Stattdessen könnt ihr Manuals immer nur kurz nutzen und müsst zwischendurch immer wieder Grinds, Kurven oder andere Tricks in eure Kombo einbauen, damit ihr wieder Geschwindigkeit aufnehmt. Besonders hilfreich ist außerdem euer Boost-Pack, mit dem ihr euch einen extra Schub nach vorne geben könnt, damit ihr besonders weite Sprünge trotzdem mit in eure Trick-Kette einbauen könnt. Hier habe ich persönlich den meisten Wiederspielwert gefunden, denn es macht einfach wahnsinnig viel Spaß zu versuchen alle Kurven und Transitions zu finden, den Multiplikator noch weiter hoch zu treiben und am Ende eine Kombo mit mehreren Millionen Punkten zu landen.
Was man bei Bomb Rush Cyberfunk aber auf keinen Fall auslassen darf, ist der Style des Spiels. Und damit meine ich nicht in erster Linie den Cel Shading-Look - darüber muss man zwar auch sprechen, aber dazu komme ich gleich noch. Ich meine mit wie viel Liebe zum Detail hier die Hip-Hop- und Graffiti-Kultur porträtiert wird und wie viel kleine Details Team Reptile ins Spiel eingebaut hat, die ganz klar an Fans der Kultur gerichtet sind. Habt ihr z.B. erst einmal euren Ruf hoch genug in einem Gebiet, müsst ihr ein Team Battle gegen die jeweils vorherrschende Crew durchführen. Dazu erscheinen die sogenannten Oldheads, in Trainingsanzügen, mit Boombox im Gepäck und mit Namebelts um, die dann als Schiedsrichter für das Battle fungieren. Um euren Charakter zu wechseln, müsst ihr erst einmal an der Tanzmatte eine Cypher starten und die von euch ausgewählte Figur legt dann erst mal ihren Signature Dance Move hin. Kurzum - für mich als Fan der Hip-Hop-Kultur ist dieses Spiel wie gemacht und ich habe mich einfach komplett aufgehoben gefühlt in dieser verrückten, bunten Welt, mit all ihren Figuren.
Aber natürlich darf man auch die generelle Präsentation des Spiels nicht außer Acht lassen. Und was soll ich dazu noch groß sagen, ich denke die Screenshots sprechen optisch schon einmal für sich. Bomb Rush Cyberfunk nimmt die Cel Shading-Optik und den Charme des Dreamcast-Titels und bringt das ganze mit einer Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit ins Jahr 2023, wie ich es eigentlich nicht für möglich gehalten habe. Alles sieht gleichzeitig so sehr nach Anfang der 2000er aus und spielt sich gleichzeitig so flawless und modern. Genau diese Art von Neuinterpretation und Umsetzung wünsche ich mir eigentlich von offiziellen Remakes und Reboots bekannter Marken. Dass der Soundtrack und die Songauswahl dann noch perfekt zum Spiel passen und neben verschiedenen Indie-Artists mit Original-Composer Hideki Naganuma sogar ein Jet Set Radio-Urgestein mit an Bord ist, macht den Style-Faktor des Spiels dann nur noch perfekter.
"Bomb Rush Cyberfunk ist das perfekte Weiterdenken einer Idee, die mit dem Dreamcast 2001 quasi gestorben ist und die so bis heute nie wieder im Rampenlicht stand. Und das völlig zu unrecht, wenn man sich dieses Spiel ansieht."
Wer dieses Spiel sieht, wird sich schwer tun erst mal nicht an Jet Set Radio zu denken. So viel ist klar. Team Reptile versucht aber auch nicht, das in irgendeiner Art und Weise zu verstecken oder zu verheimlichen, sondern es ist von Anfang bis Ende klar, woher das Studio seine Ideen genommen hat. Sie haben all das aber auch so gut umgesetzt, mit coolen Neuerungen bespickt und dabei sogar noch eine spannende Geschichte erzählt, dass man ihnen das auch einfach nicht zum Vorwurf machen kann. Bomb Rush Cyberfunk ist das perfekte Weiterdenken einer Idee, die mit dem Dreamcast 2001 quasi gestorben ist und die so bis heute nie wieder im Rampenlicht stand. Und das völlig zu unrecht, wenn man sich dieses Spiel ansieht. Das Indie-Game hat an jeder Ecke Style pur zu bieten und ist auch spielerisch ein absoluter Garant für Spaß. Die Kombos hochzutreiben und gleichzeitig Graffiti an die Wände zu sprühen macht einfach wahnsinnig viel Spaß und das Leveldesign der einzelnen Abschnitte ist wahnsinnig gut gelungen. Das Kampfsystem ist der einzige Wermutstropfen eines sonst perfekten Spiels und ich hoffe Sega hat schon beim Niederländischen Studio angerufen, um einmal über die Zukunft von Jet Set Radio zu sprechen. Denn genau so wie hier macht man das.