Von Miggi
Habt ihr nicht auch schon immer davon geträumt dem Großstadtleben zu entfliehen und euch irgendwo auf dem Land niederzulassen? Eine kleine Farm mit ein paar Kühen und zwei, drei Hühnern. Euer eigens angebautes Gemüse, knackiger Salat, frische Maiskolben und saftige Tomaten. Abends schön am Schaukelstuhl auf die Veranda setzen und den Sonnenuntergang genießen. Während euch die Augen zufallen langsam den Atompilz am Horizont beobachten. Was man halt so macht. Ihr habt Glück, dafür muss nicht wirklich die Welt untergehen, denn im Roguelite Atomicrops ist genau das euer Leben. Nachdem euch euer Großvater kurz vor der atomaren Katastrophe seine Farm überschrieben habt, ist es nämlich nun eure Aufgabe dafür zu sorgen, dass dort alles glatt läuft, damit genug Nahrung für das benachbarte Dorf da ist und ihr gleichzeitig nicht von mutierter Flora und Fauna zur Strecke gebracht werdet.
Atomicrops kombiniert zwei komplett unterschiedliche Genres, die auf den ersten Blick auch irgendwie nicht so richtig zusammenpassen wollen: Roguelite und Farming Simulator. Fangen wir mal mit dem Farming an: ihr müsst euch darum kümmern, dass euer Feld von Unkraut befreit ist, pflügt die Erde um und pflanzt Samen in den gepflügten Boden, die ihr gießen müsst und sogar düngen könnt. Sind eure Pflanzen ausgewachsen, beginnt das Spiel von vorne. Pflügen, Pflanzen, Düngen, Gießen. Für alles, was ihr erntet, kriegt ihr eine bestimmte Anzahl an Punkten. Platziert ihr vier gleiche Pflanzen in einem Quadrat und gebt ihnen genug Dünger, können sie zu einer großen Pflanze fusionieren, die euch noch mehr Punkte bringt. Samen könnt ihr entweder im Dorf kaufen, oder finden. Euer Feld wird nämlich von vier Gebieten umgeben, in denen nicht nur Gegner auf euch warten, sondern eben auch Samen, Power-Ups, Traktoren und anderer hilfreicher Kram.
Euch zur Seite stehen von Anfang an zwei kleine Bienen, die sich mit euch ein bisschen um die Pflanzen kümmern. Ihr könnt aber auch andere Tiere finden: die Kuh hilft euch dabei eure Pflanzen zu gießen, was je nach Größe eures Feldes bzw. eurer Tagesgestaltung sehr hilfreich sein kann, da manche Pflanzen echt viel Wasser brauchen. Das Schwein pflügt mit euch den Boden um und kann eure Area mit Glück sogar ausweiten. Wollt ihr euer Feld anders vergrößern, müsst ihr auf Spitzhacken zurückgreifen, die ihr entweder kaufen oder auch finden könnt. Außerdem könnt ihr euch Hühner zulegen, die das Unkraut für euch jähten und teilweise Eier legen, die auch Punkte bringen. Sobald ihr ein neues Tier gefunden habt, läuft es selbstständig zu eurem Feld und kann auch nicht getötet werden. Als weiteres Tool stehen euch noch verschiedene Traktoren zur Verfügung, die sich wie eine ultimative Attacke aufladen und für euch eine gerade Linie an Unkraut vernichten oder Gegner zu Dünger schreddern können. All das verliert ihr natürlich, sobald ihr sterbt und beginnt wieder bei Null. Roguelites verzeihen was das angeht keinen Fehler. Permanente Upgrades könnt ihr nur mit Füllhörnern kaufen, die allerdings schwer zu bekommen sind.
Aber wo wir gerade bei Gegnern sind: davon gibt es viele. Während ihr tagsüber euren Farmpflichten nachgeht und nur ein paar Maulwürfe euch dabei ein bisschen nerven, müsst ihr nachtsüber euer Feld aktiv verteidigen. Anfangs sind es Schnecken, die euch euer Gemüse vom Feld naschen wollen, später kommen noch Fliegen hinzu. Gleichzeitig tauchen in der Nacht noch Hasen auf, die euch das Leben schwer machen und mit Projektilen und Bomben auf euch feuern. Und als wäre das noch nicht genug, gibt es in jeder dritten absolvierten Nacht, die gleichzeitig das Ende einer Jahreszeit darstellt, einen großen Bosskampf zu bestreiten. Im Frühling erwartet euch mit der dicken Schnecke Monstropod noch eine machbare Aufgabe, während spätestens ab dem Sommer und Sol Crusher alles eskaliert. Wer ein ganzes Jahr überstehen will, muss sich also warm anziehen. Das ist witzig. Weil ein Jahr endet mit Winter. Höhö.
Aber nicht nur rund um euer Feld tummeln sich Feinde. Weiter oben habe ich es kurz schon angeschnitten: für neue Samen, Traktoren, Tauben und eigentlich alles andere auch müsst ihr in eine der vier Himmelsrichtungen laufen und euch dort Gefahren stellen. Fiese Hasen und andere Gebiets-spezifische Monstertypen haben es sich dort gemütlich gemacht, Eichhörnchen mit Samen im Gepäck als Geiseln genommen und sich das Land unter den Nagel gerissen. Schafft ihr es eine Gegnergruppe auszuschalten, erhaltet ihr deren Item und mit etwas Glück auch noch eine Rübe, die eure Gesundheit wieder herstellt, falls ihr Schaden genommen habt. Hier findet ihr neben Tauben, die euch beim Farmen etwa eine zeitlich limitierte Regenwolke schenken, Baum-Samen und allgemeinen Power-Ups auch seltene Rosen-Samen, die ihr zur Blume heranzüchten könnt. Diese werden nicht, wie die anderen Gemüse- und Obst-Sorten, zu Punkten sondern ihr bekommt eine Rosenblüte.
Mit genug Rosen und Punkten im Gepäck werdet ihr am Ende jeder Nacht nämlich per Helikopter zurück ins Dorf gebracht, eurem kleinen Hub. Dort könnt ihr bei Händler*innen neue Waffen für den kommenden Tag-/Nacht-Zyklus kaufen und diese verbessern, Brückenteile kaufen, die euch weitere Gebiete öffnen oder mit Genug Punkten Samen-Pakete kaufen. Spezial-Waffen, darunter verschiedene Schrotflinten und ein besseres Maschinengewehr, gehen für fast alle spielbaren Charaktere nach einem Tag-Nacht-Zyklus zu Bruch und ihr müsst, falls ihr das wollt, eine neue Waffe kaufen. Mit den Rosenblüten habt ihr zum einen die Möglichkeit euch heilen zu lassen - aber Vorsicht, denn die Heilungsrüben werden pro Kauf teurer. Auf Dauer noch hilfreicher ist hingegen die Rosen ganz romantisch an NPCs zu verschenken und so eure Beziehung zu diesen zu verbessern. Boni inklusive. Habt ihr einem der NPCs genug Rosen geschenkt, könnt ihr sie sogar heiraten und zukünftig Seite an Seite mit euren Auserwählten in die Farming-Schlacht ziehen. So weit müsst ihr aber erst mal kommen.
Bird Bath Games, das Indie-Studio hinter Atomicrops, hat dem Spiel einen wahnsinnigen süßen Pixel-Look verpasst, der die Apokalypse so farbenfroh abbildet, dass sie fast schon nicht mehr gefährlich wirkt. Companions, Dorf-NPCs, spielbare Charaktere und auch alles andere in der Welt versprühen unglaublich viel Charme, kommen alle mit ihrer ganz eigenen Persönlichkeit. Besonders die Pflanzen in ihren verschiedenen Größen haben es mir angetan. Eine animierte Serie mit diesem Vorbild hätte locker in den Neunzigern auf Nickelodeon laufen können. Und ich hätte es geliebt. Mindestens genau so viel Liebe ist aber auch in den Soundtrack geflossen. Neben passenden Banjo-Hillbilly-Klängen erwartet euch in jedem Gebiet zur Thematik passende Musik. Komponist Joonas Turner hat auf jeden Fall ganze Arbeit geleistet. Technisch gibt es auch absolut nichts zu meckern. Die Steuerung sitzt, Bugs (ich verkneife mit den Käfer-Witz jetzt) sind mir keine aufgefallen und auch bei unzähligen Projektilen und Monstern auf dem Bildschirm blieb die Framerate für mich immer stabil.
"Die Kombination aus Roguelite- und Farming-Elementen bringt frischen Wind ins Genre und Atomicrops damit doppelt Wiederspielwert."
Wenn ein neues Roguelite die Bühne betritt, bin ich erst mal immer neugierig. Meistens spiele ich dann ein paar Runden, aber selbst wenn die Spiele gut sind, lasse ich sie irgendwann liegen und spiele auf Dauer dann doch wieder The Binding of Isaac. Ja, ich weiß, Horizont und so. Aber ich liebe es halt einfach. Als ich Atomicrops das erste Mal testspielen durfte, hatte ich aber schon das Gefühl, dass es hier anders sein könnte. Und die Zukunft wird es zeigen, aber ich glaube, dass ich noch oft zurück auf meine Farm kommen werde. Die Kombination aus Roguelite- und Farming-Elementen bringt frischen Wind ins Genre und Atomicrops damit doppelt Wiederspielwert. Denn es reicht ja nicht, dass man alle Pflanzen anbauen und mögliche Ehepartner*innen heiraten möchte, natürlich will man auch alle Bosse besiegen, Waffen ausprobieren und Gebiete erkunden. Oben drauf kommt ein Schwierigkeitsgrad, der eine wirkliche Herausforderung bietet, gleichzeitig aber - wie für Roguelites üblich mit einer gewissen Portion Glück und den richtigen Items - doch machbar ist. Solange man genug Zeit investiert und das Spiel kennenlernt. Ich sag's wie es ist: ich werd jetzt Farmer, bereite mich auf die Apokalypse vor und hoffe, dass das alles dann genau so aussehen wird.